Kritiken Theater | |||
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2007-05-12 Schauspielkritik: | |
"Peepshow" unterm Bonner Opernhaus Deutschsprachige Erstaufführung des Stückes von Marie Brassard: Hinreißende Episoden-Montage über Begegnungen von Mädchen, Frau, Mann und Wolf |
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ape. Bonn.
„Peepshow“ heißt das Stück, das auf der
kleinen Werkstattbühne unter der Oper Bonn jetzt zur
Deutschsprachigen Erstaufführung kam. Der Titel weckt Erwartungen,
die mit Sex, mit der Beziehung zwischen lockendem Herzeigen
und gierigem Hingucken zu tun haben. Weil in besagten Etablissements
beides bloß durch Klappfenster und Geldautomat vermittelt wird,
handelt es sich in Wahrheit um eine schwierige Nichtbeziehung. Um
Begehren und Begehrt-Werden dreht sich irgendwie auch das Stück
der Kanadierin Marie Brassard, obgleich der Schmuddel-Guckkasten aus
dem Rotlichtviertel ebenso wenig vorkommt wie einschlägige oder
einfältige Striptease-Szenen. |
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Genau
genommen ist der Begriff „Stück“ unzutreffend für
das, was die Autorin des Jahrgangs 1959 da geschrieben hat. Von einer
stringenten Handlung keine Spur; 19 kurze Erzählungen
über Mädchen, Frau, Mann und Wolf sind's, mit nur ganz wenig
Dialog und gelegentlich einem Song. Wie soll man so etwas
spielen? Regisseurin Schirin Khodadadian bringt 90 Minuten zustande,
die vor allem durch eines faszinieren: die Art und Intensität des
Spiels ihrer Darsteller. Zum Prolog mimt Sabine Osthoff im roten Kapuzenumhang ein Mädchen, das erzählt, wie es sich im Wald verlief, vor Angst zitterte und sich erst beruhigte, als ein Monster sie an der Hand nahm. In diese Szene schleicht sich die nächste, in der wird, quasi als Gegenschnitt, das abgründige Märchen vom Rotkäppchen erzählt. Zum Mädchen tritt mit Nina Vodop'yanova im roten Abendkleid eine erwachsene Frau und mit Peter Nitzsche in schwarzem Leder plus rotem Hemd gefährliche Männlichkeit. Ein Stahlgerüst und ein wadentief gefülltes Wasserbecken (Bühne: Gesine Kuhn) sind der Raum, in dem diese Drei sich mit Ereignissen und Anwandlungen auseinandersetzen, die sie auf den schmalen Grat zwischen Furcht und Lust, zwischen Gefährdung und Hingebung führen. Stahl und Wasser – harte Fakten versus kaum greifbare Gefühle: das Leben. Mal erzählen sie einander, mal dem Publikum, mal nur so vor sich hin, was geschehen ist, geschieht, vielleicht geschehen wird oder hätte geschehen können. Das gereifte Mädchen entdeckt ihre Macht über den Mann und spielt gewagt Katz und Maus mit ihm. Oder: Sie träumt, der neben ihr schlafenden Freund habe sie verlassen. In Schrecken erwacht, tröstet der sie – was auch nur Traum ist, denn am Morgen erinnert sie, tatsächlich eine Verlassene zu sein. Die Ältere erzählt von einem Ex-Geliebten, der ihr als Blut spuckendes Wrack wiederbegegnete und den sie nun, da er das Wölfische los war, liebend in die Arme schließen konnte. Dazwischen gibt Nitzsche Ratschläge, wie man sich geschickt einer überdrüssig gewordenen Frau entledigt . . . Episode folgt auf Episode und mit jeder Folge wird deutlicher, dass auch „Erzählen“ der falsche Begriff ist für das, was auf der Bühne geschieht. Die drei empfinden, erleben in Geist und Herz, wovon sie erzählen. Sie sind Berichterstatter und Betroffene in einer Person, sind zugleich kommentierende Beobachter des jeweils anderen wie ihrerselbst. Die Ältere kennt aus Erfahrung, was die Jüngere gerade erfährt, ersehnt, ausprobiert. Doch Wissen und Leid schützen vor Sehnen nicht. Der Mann weiß um den „bösen Wolf“ in sich, der die Junge ängstigt, aber sie auch magisch anzieht. Und die Junge selbst? In die packt Sabine Osthoff das ganze Universum widerstreitender Ladungen im Gefühlshaushalt einer 15- bis 17-Jährigen: Kraft und Schwäche, Mut und Angst, Wissen-Wollen und Augen-Verschließen, Naivität und Klugheit, Freude im Schmerz und Schmerz in der Freude. Zusehen ist eine Lust. Also doch Peepshow? Viel besser. Andreas Pecht |
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