Kritiken Theater | |||
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2007-05-10 Schauspielkritik: | |
Tragödie auf dem Wäscheberg Tschechows "Drei Schwestern" in der Inszenierung von Andreas Kriegenburg zu Gast bei Wiesbadener Maifestspielen |
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ape. Wiesbaden.
Mit 44 gehört Andreas Kriegenburg nicht mehr zu den jungen
Regisseuren, allerdings zu den interessantesten. Noch immer hängt
ihm sein früherer Ruf nach, Stücke erst zu zerfleddern, um
die Schnippsel hernach zu Collagen zu fügen. So radikal ist er
heute nicht mehr, aber der Collagentechnik treu geblieben. Das zeigten
seine Inszenierungs-Beiträge bei den Wiesbadener Maifestspielen:
Vor ein paar Tagen Sartres „Die schmutzigen Hände“ vom
Hamburger Thalia, jetzt Tschechows „Drei Schwestern“ von
den Münchner Kammerspielen; beide sind zum Berliner Theatertreffen
eingeladen. |
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Wie
beim Sartre-Stück, so werden auch bei Tschechows berühmtestem
Werk diverse Spielweisen miteinander verwoben. Die augenfälligste
Verknüpfung ist bei Kriegenburgs „Drei Schwestern“ die
von Menschenspiel mit Maskenspiel. Die Übergänge sind
fließend, Anlässe zum Formwechsel nicht erkennbar:
Plötzlich haben die Protagonisten große Puppenköpfe
übergestülpt und im Gleichklang dazu ihre Art, sich zu
bewegen, völlig verändert. Beides macht die Frauen in
weißen Unterröcken, die Männer in hellbeigen Uniformen
noch trauriger, noch gespenstischer, als sie ohnehin sind. Denn sie
alle träumen von einem anderen, besseren, erfüllten Leben,
kommen aber keinen Schritt dorthin voran. Für Olga, Mascha und Irina bleibt „Moskau“ Chiffre ihres Sehnens, ein fernes, unerreichbares Utopia. Das ist Tschechow, so hält es auch Kriegenburg – wenngleich seine Darstellung sich von allem Gewohnten deutlich unterscheidet. Obwohl es brachiale Eingriffe in den Text kaum gibt, wird die Geschichte nicht erzählt, eher in assoziative Bilder und Szenen übersetzt. Man begreift noch den Sinn, wenn Olga im ersten Akt alle Rollen an sich reißt und mit diversen Intonationen sichtlich genervt rezitiert, was eigentlich ihr Mitspieler zu sagen hätten: Das ewig gleiche, folgenlose Lamento, im Stück wie im Leben. Was der Berg Nussschalen bedeuten soll, den es aus einer vielarmigen Jugendstillleuchte an der Decke in die Hellholz-Guckkastenbühne regnet, begreift man nicht. Die Jüngste, Irina, pappt anfangs einen Wunschzettel an die Wand, der dort hängen soll, bis der Wunsch erfüllt ist. Einen Vorhang später sind alle Wände mit solchen Zetteln tapeziert. Das ist leicht verstehbar, und folglich das später tobsüchtig-verzweifelte Anrennen des Mädchens gegen die Wände ebenfalls. Was jedoch meint der von Akt zu Akt sich höher türmende Berg weißer Knitterwäsche, auf dem Männlein und Weiblein bald herumturnen, in dem sie sich bald verstecken? Das Spiel im Wäschegebirge schafft schöne Bilder, dichte Momente, und bietet dem, der das Tschechow-Stück gut kennt, allerhand interessante Deutungsansätze. Der es nicht kennt, für den dürfte der Abend inhaltlich vor allem ein großes Rätselspiel sein. Atmosphärisch gibt es kein Vertun: Die Zeit steht stille, wie sich das bei Tschechow gehört. Kriegenburg gibt Musik hinzu, als melancholische Dauerberieselung aus dem Hintergrund und vergeblich trotzige Gypsi-Einlage im Vordergrund. „Drei Schwestern“ mal ganz anders: Interessante dreieinhalb Stunden, allerdings nicht ganz frei von Kitsch und auch nicht frei von Mangel an Stringenz. Wären da nicht die umwerfend guten Mimen der Münchner Kammerspiele – vorneweg in den Titelrollen Annette Paulmann, Sylvana Krappatsch und Katharina Schubert – der Abend hätte einem doch etwas lang werden können. Andreas Pecht |
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