Kritiken Theater | |||
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2007-04-15 Dokumentarstück: | |
"Karl Marx: Das Kapital, erster Band" als 8-Personen-Stück auf der Bühne Eine geistreich-launige Auseinandersetzung mit dem einst weltbewegenden Hauptwerk des Trierers und dessen Bedeutung im Leben der Protagonisten |
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ape. Frankfurt. Rätselraten im Vorfeld: Was mag ein Theaterstück unter dem Titel „Karl Marx: Das Kapital, erster Band“ wohl vorstellen? Natürlich, jeder hat vom Autor und seinem Hauptwerk schon gehört. Der 751-seitige Wälzer ist wegen seiner welterschütternden Nachwirkungen ein Mythos. Das Buch steht in vielen Regalen und einige Besitzer haben es sogar gelesen – damals, in den ersten 30 Jahren nach dem Krieg. Die Künstlergruppe Rimini-Protokoll hat das „Kapital I“ ins Zentrum einer Bühnen-Koproduktion der Schauspiele Düsseldorf, Zürich, Frankfurt und des HAU Theaters Berlin gestellt. Am Wochenende machte die Inszenierung am Main Station – und eine ziemlich gute Figur. |
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„An
allem seid nur ihr mit eurem Karl Marx schuld.“ So zitiert einer
der acht Mitspieler im Kleinen Haus des Frankfurter Schauspiels einen
ehemaligen Sowjet-Bürger. Als Rheinland-Pfälzer könnte
man sich direkt angesprochen fühlen, zumal vorher Jochen Noth mit
jovialer Werbung für Marx-Wein aus Trier auf die Herkunft des
Rauschebarts hinweist. Zumal vorher Christian Spremberg mit der
alten Schallplatte „Bei uns wird’s Geld net
schimmelich“ vom Mainzer Fastnachter Ernst Neger einen sinnlichen
Bezug zum ökonomisch-analytischen Inhalt des
„Kapital“-Buches herstellt. Dem Zuseher von hier
kommt darob in Frankfurt die Idee: Das ganze Stück möchte
prima zum diesjährigen Motto „Rebellen, Reformer,
Revolutionäre“ des rheinland-pfälzischen Kultursommers
passen. Noth ist ein ehemaliger SDS- und K-Gruppen-Funktionär aus Heidelberg, der später einige Jahre in China gearbeitet hat und sich heute als Unternehmensberater um deutsch-chinesische Wirtschaftsbeziehungen kümmert. Er plaudert über seine Zeit als Klassenkämpfer der Neuen Linken, über Erfahrungen mit den „Kapital“-Schulungen und daraus logisch oder eher missbräuchlich abgeleitete Aktionen. Noth spielt sich, wie alle anderen auch, selbst. Etwa der blinde Spremberg, der zu Anfang einen Druckband des „Kapitals“ gegen eine 13-bändige Ausgabe in Blindenschrift tauscht. Die liefert ihm via Einkaufswägelchen der leibhaftige Thomas Kuczynski, letzter Direktor und Abwickler des Instituts für Wirtschaftsgeschichte der DDR. Womit en passant die Marx'sche Unterscheidung zwischen Warenwert und Gebrauchswert allgemein verständlich wird. Er, der Wirtschaftshistoriker, ist in dieser Runde der letzte, der die Lektüre des „Kapitals“ als unverzichtbares Ingredienz aufgeklärten Intellektuellenlebens hochhält. Praktische Konsequenz zieht indes nur ein Jugendlicher: Sascha Warnecke schwärmt für Che Guevara und kämpft gegen McDonald's. Die Marx-Schwarte lesen mag er dennoch nicht. Ihm genügt es, zu wissen, dass „die Welt eine veränderbare“ ist. So weit reicht Franziska Zwergs Interesse nicht einmal. Die Übersetzerin von Boris Jelzins Memoiren steuert, wie der lettische Filmemacher Margevics auch, vor allem unschöne Details aus dem ehemals real existierenden Sozialismus bei. Wohingegen der Arbeiter Ralph Warnholz und der Spekulanten-Biograf Ulf Mailänder von den lebenspraktisch hässlichen Seiten der Mehrwertproduktion und der Geldwirtschaft im real existierenden Kapitalismus plaudern. Ein Mangel an Ausgewogenheit lässt sich dem geistreichen wie humorigen Spiel nach frei variierter Manier des dokumentarischen Theaters also nicht nachsagen. Wer eine Verdammung des „bösen“ Buches erwartete, wird enttäuscht. Wer hingegen auf Agitation für eine marxistische Renaissance hoffte, ebenfalls. Zwischen den Fronten steht ungerührt das Hauptwerk unseres Landsmannes von 1867: eine schwer verständliche, akribische Analyse der ökonomischen Gesetze des Kapitalismus. Was die Nachgeborenen damit anfangen oder nicht, überlässt es den Nachgeborenen. Jüngere Beispiele stellt dieses Stück vor – ohne zu anderen als individuellen Urteilen zu kommen. „Das Kapital“ wieder lesen oder nicht? Noth würde wohl abwinken, Kuczynski zuraten. Dann mal los. Andreas Pecht |
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