Kritiken Theater | |||
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2006-10-08 Schauspielkritik: | |
Es ist so viel Wut im Mainzer "Sommernachtstraum" Schirin Khodadadian inszenierte Shakespeare-Klassiker zu kraftvoll-modernen, aber nicht durchweg zwingenden zwei Stunden |
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ape.
Wo ist die Bühne? Die Frage drängt sich beim ersten
Blick auf die Kulisse für Shakespeares
„Sommernachtstraum“ am Mainzer Staatstheater auf. Denn
Bühnenbildnerin Carolin Mittler verlängerte einfach das
Parkett auf die Spielfläche des Großen Hauses. Auf der
Bühne reiht sich nun eine gutes Hundert Theatersitze. Die
Liebes-Lust-Verwirrungen im Zauberwald rumoren quasi zwischen den
vorderen Sitzreihen. Mitten drin hockt seelenruhig Johannes Winde und
macht Musik zum Spiel. |
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Zwei
pausenlose Stunden weiter schaut diese Bühne arg derangiert aus:
Rüde durcheinander geschmissen die Stühle, Teile der Decke
herunter gekracht, überall fliegt Papier und Konfetti herum. Beim
Personal herrscht Katerstimmung: Die Nacht war ein erschöpfender
Albtraum, und der Tag verweigert den Trost bessernder Aussicht.
Happy-End kann es in der Inszenierung von Shirin Khodadadian nicht
geben, zu sehr hat sie vorher der Protagonisten Miteinander mit Wut
aufgeladen. Wut, die den Mainzer „Sommernachtstraum“ antreibt – in vielen sehr lauten Aggressionsmomenten, kaum minder auch auf den wenigen Strecken, da die Inszenierung beinahe deprimiert zum Stillstand kommt. Puck, den Gregor Trakis brachial als großen Schlaks und Showmacher mit cholerischer Neigung gibt, schmeißt gleich zu Anfang ein paar Stühle umeinander. In der Folge tut es ihm jeder Mitspieler mal nach. Dass Puck springen muss, wenn Herr Oberon (Stefan Walz) preifft, geht ihm ebenso auf die Nerven wie die Pflicht, die Stückhandlung vorweg kürzest darlegen zu müssen. Auf der Basis dieser comedy-mäßig servierten Inhaltsangabe kann Khodadadian dann auf erzählendes Handlungsspiel verzichten. Sie lässt nur noch Elemente aus dem „Sommernachtstraum“ aufblitzen. Das Handwerkertheater auf satte Einsprengsel verknappt, in denen Monika Dortschy und Michael Schlegelberger saftige Figur machen. Die Verwandlung Zettels in einen Esel ist hier ein von Puck begangener Gewaltakt. Thomas Prazaks spielt das Opfer als kaum fassbares Irrlicht, als durch viele Rollen Getriebener. Dieser Zettel findet keine Ruhe, auch nicht in Titanias (Andrea Quirbach) verzaubert gierendem Schoß. Augenblick der Besinnung gibt es für ihn erst im gespielten Sterben des Pyramus. Hoher Shakerpeare-Ton, und heutige Alltagspsrache im Wechsel kennzeichnen die mit modernen Typen bestückte Inszenierung. Die Methode ist zurzeit auch beim Wiesbadener „Hamlet“ zu besichtigen. Wobei in Mainz die profanen Spechanteile viel höher sind. Überhaupt kommt hier eine Menge Text in Anwendung, der allenfalls noch vage mit Shakespeare zu tun hat. Das ist erlaubt, aber Geschmackssache. In Frage steht, ob es überhaupt notwendig ist. Was die Regie im Falle „Sommernachtstraum“ an Idee transportieren will, war bei Shakespeare längst als Möglichkeit angelegt: Liebe birgt stets auch ihr Gegenteil, den Hass; und das Ausleben triebhafter Abgründe kann ebenso schmerzlich sein wie ihre Unterdrückung. Keine (Er-)Lösung nirgends – daher die Wut aller. Die aufregendsten Szenen dieser Inszenierung sind die, in der Franziska Hackls Hermia sich wütend erst gegen die Liebeswut, dann den Hass ihres Lysander (Felix Mühlen) behauptet. Wunderbar klein, schnippisch, verletzlich und doch voller Kraft steuert sie durch die Klippen der Zumutungen. Das ließe sich auch mit purem Shakespeare-Text überzeugend und heutig spielen; Hackl könnte es. Bei Katharina Knap wäre das schwieriger, ihre Helena neigt ähnlich wie Lorenz Klees Demetrius etwas zu Deklamationspathos. Was ein Shakespeare-Missverständnis im anderen, im traditionellen Extrem wäre. Beim Schlussapplaus der Premiere scheiden sich die Geister: Lautstarker Beifall, aber auch Buhs und viele Hände, die sich nicht rühren. Beides ist nachvollziehbar. Ungeteilte Zustimmung gilt hingegen der Entscheidung, dies Stück im Großen Haus aufzuführen. Man sieht endlich wieder einmal: Schauspiel funktioniert dort, gehört dorthin. Die jüngere Sitte mancher Dreispartenhäuser, die großen Säle und Bühnen quasi fürs Musiktheater zu reservieren, ist eine Unsitte. Andreas Pecht |
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