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2006-08-24 Analyse: | |
Der Staat muss Mindeststandards und Rahmenbedingungen setzen Freiwillig würde die Wirtschaft weder Mindestlöhne noch Arbeitszeitgrenzen gewähren |
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ape.
Mindestlohn künftig auch für Gebäudereiniger – die
vom Bundeskabinett eben gebilligte Gesetzesvorlage Münteferings
rief erwartungsgemäß heftige Kritik hervor. Die richtet sich
einmal mehr gegen „Überreglementierung“ der Wirtschaft
durch den Staat. Zu viel Reglement und vor allem zu viel
Bürokratie sind in der Tat Übel. Allerdings hat der Staat
sicherzustellen, dass humane Grundwerte und unverzichtbare
Mindeststandards auch im Wirtschaftsleben eingehalten werden. |
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Kommt
die Rede auf gesetzliche Mindestlöhne als demnächst
vielleicht alle Branchen übergreifende Regelung, so geraten
Zeitgenossen, die dem Wirtschaftsliberalismus zuneigen, erheblich in
Aufregung. Das so sehr, als stünde damit neuerlich der
Systemstreit „Marktwirtschaft versus Sozialismus“ zur
Entscheidung. Weniger extreme Warner bemühen zumindest das
Szenario, Deutschland könne sich bei Einführung von
Mindestlöhnen aus der ersten Liga des globalen Wettbewerbs
verabschieden. Ist das so? Sind von Staats wegen verordnete
Mindestlöhne Gift für Konjunktur, Standort, Arbeitsmarkt? Vergangene Woche verbreitete die Deutsche Presseagentur eine Grafik abgedruckt, nach der es in 18 von 25 EU-Ländern nationale gesetzliche Mindestlöhne längst gibt. Die mit Abstand höchsten gelten in Luxemburg (1503 Euro monatlich brutto), Irland (1293), Niederlanden (1273), Großbritannien (1269), Belgien (1234), Frankreich (1218). Daraus lässt sich schließen, dass es wohl keinen Zusammenhang zwischen Mindestlöhnen und Erfolg der Volkswirtschaften gibt. Denn Belgien und Frankreich sind ökonomisch derzeit eher schwächer auf der Brust, wohingegen Irland D A S aktuelle Boomland ist, auch Großbritannien und Niederlande ziemlich gut dastehen, Luxemburg sowieso. Mehr oder weniger Wirtschaftserfolg mag an vielem liegen, am gesetzlichen Mindestlohn liegt es nicht. Ein anderes Argument gegen Mindestlöhne geht so: Das Verbot, unterhalb einer festgelegten Grenze zu entlohnen, hindere Unternehmen, neue Jobs zu schaffen. Natürlich ist das so: Denn je niedriger der Lohn, umso interessanter werden die Arbeitskräfte für ein Unternehmen. Aber wo ist die Untergrenze? Wie tief sollen die Löhne fallen? Für ordentliche Arbeit unanständigen Lohn zu zahlen - also Lohn, der nicht für ein anständiges Leben hinreicht - widerspricht im Grundsatz den ethisch-moralischen Grundwerten unserer Gesellschaft. Wobei auch einfache Arbeit anstrengende, ordentliche, nützliche Arbeit ist, die kein Almosen, sondern anständigen Lohn verdient. Obendrein wäre weder den Betroffenen, noch der Gesellschaft, noch den Sozialsystemen damit gedient, Hunderttausende zwar irgendwie in Lohn, aber nicht wirklich in Brot zu bringen. Hungerleider in Festanstellung – das kann es doch nicht sein. Die Frage wird uns bald heftig beschäftigen, wenn die schwarz-rote Koalition richtig in den Streit über Kombilöhne einsteigt. Was ist Kombilohn? Um im Bild zu bleiben: Wenn der Hungerleider in Festanstellung vom Staat Almosen kriegt, weil das Unternehmen den angemessenen Lohn nicht bezahlen will oder kann. Dabei ist die Sache mit dem Mindestlohn eigentlich ganz einfach: Wenn ordentliche Arbeit ihren Mann/ihre Frau ordentlich ernähren können muss, sollte ein entsprechender Mindestlohn selbstverständlich sein. Den könnten auch die Tarifparteien miteinander festlegen. Nur müsste der Staat ihn nachher dennoch verpflichtend vorschreiben, damit auch jene Unternehmen sich daran halten, die nicht Willens sind, es freiwillig zu tun. Auf diese Weise würde in Deutschland ein verbindlicher Mindeststandard geschaffen, wie er in vielen anderen Industrienationen üblich ist. Wie die allgemeine Begrenzung des Lohnes nach unten vernünftig wäre, so ist es die Begrenzung der Arbeitszeit nach oben. In Deutschland gilt eine gesetzliche Höchstarbeitszeit von 48 Stunden pro Woche. Diese Regel ist in der Realität indes von Ausnahmen durchlöchert wie ein Schweizer Käse. Jüngst hat eine EU-Direktive sich das 48-Stunden-Maß zu eigen gemacht; weshalb die Gewerkschaften hoffen, man werde sich hier zu Lande künftig etwas genauer daran halten. Überreglementierung? Oder nicht eher humaner Mindeststandard, eingerichtet im Interesse der Arbeits- und Verkehrssicherheit, der Individual- und der Volksgesundheit? Es ist kein Zufall, dass Versicherungen ausgesprochen zickig werden können, wenn an Arbeits- oder Verkehrsunfällen Leute beteiligt waren, die am selben Tag länger als 10 Stunden gearbeitet haben. Gäbe es kein Gesetz, das allen LkW- und Busfahrern auf deutschen Straßen Pausen vorschreibt, der wirtschaftliche Druck würde direkt und indirekt viele davon zwingen, bis zum Umfallen und/oder zum Verunfallen zu fahren. Gleiches gilt für die Arbeitszeit: Ohne staatlich verordneten Mindeststandard würde bei entsprechendem wirtschaftlichem Druck das gesundheitlich vertretbare Maß ignoriert – und je niedriger das Lohniveau, umso größer auch die „Bereitschaft“ der Beschäftigten dazu. Ökonomische Prozesse und die sich daraus ergebenden Zwänge sind zumeist keine Frage von Moral, individueller Schlechtigkeit oder gar mangelndem Patriotismus. Eben weil das so ist, obliegt es dem Staat, Rahmenbedingungen zu setzen, die verhindern, dass Turbulenzen des Marktgeschehens Grundwerte des Gemeinwesens außer Kraft setzen. Zwei der abwegigsten Argumente gegen gesetzliche Mindestlöhne sind: Sie hebeln die Tarifautonomie aus; sie beschneiden die Freiheit des Unternehmertums. Mindeststandards - ob bei Löhnen, Arbeitszeit oder auch bei Umweltschutz, Sozialleistungen und anderem sind wie Spielregeln beim Fußball: Außerhalb geht nix, aber innerhalb dieses Rahmens ist von Dorfplatzbolzerei bis Weltmeisterklasse alles möglich. So behält unternehmerische Innovationskraft ebenso ihre Bedeutung wie das stete Ringen zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften um angemessene Löhne – in der Regel oberhalb der Notration namens Mindestlohn. Andreas Pecht |
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