Kolumne Quergedanken regional | |||
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2006-06-27 Kolumne: | |
Die Fähnchen flattern um uns rum |
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ape.
Haben Sie´s gesehen? Sogar die Bundeskanzlerin außer Rand
und Band: den Oberkörper weit nach vorne geworfen; den rechten Arm
nach seitlich-hinten verdreht, dabei dem polnischen Premier mit der
reflexartig grapschenden Hand beinahe ins Gesicht patschend; ihre Augen
quellen schier aus Höhlen; dem zuckend aufgerissenen Mund
entringen sich erkennbar Schreie, Quiecker, Stöhner. So ward es
vom Fernsehen am 14. Juni dokumentiert – Frau Merkel bereitete
derart das 1 : 0 der deutschen Mannschaft gegen die polnische in
Dortmund vor. Wir sahen das erstaunliche Bild, hörten dazu leider
nur allgemeine Stadionwallung, denn Pressemikrofone sind auf den
Ehrentribünen nicht zugelassen (und die Tonaufnahmen der
Geheimdienste nicht zu haben). Was wohl hat Angie geschrieen,
gequietscht, gestöhnt? „Mach ihn rein, mach ihn doch
rein!“, „komm schon, komm, komm, komm!“,
„schieß endlich, schieß jeeetzt!“. Etwas in der
Art wird es gewesen sein. Fußball ist halt doch ein sehr
körperbetontes Spiel. Auch für zusehende
Pastorentöchter, selbst wenn sie Kanzlerin sind. |
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Wo
schon die sonst so zurückhaltende Regierungschefin sich von
König Fußball ganz ungeniert zu öffentlichen Ekstasen
mitsamt Lustgeschrei reizen lässt, muss man sich auch über
sonstige Erscheinungen der Massenorgie namens WM nicht wundern. Die
auffälligste davon ist, dass mit fortschreitender
Weltmeisterschaft sich immer mehr gewöhnliche Kraftfahrzeuge in
Dienstfahrzeuge verwandeln. Sie zählen mittlerweile nach
Hunderttausenden, die mit Stander durch Deutschland kutschierenden
Automobile. Stander heißt das Wort, nicht Ständer –
wobei das im vorliegenden Fall beim einen oder anderen Zeitgenossen
allerdings kaum einen Unterschied machen dürfte. Stander also. Das
meint beim Militär und in der hohen Politik kleine Flaggen an
offiziellen Autos, Schiffen, manchmal auch gelandeten Flugzeugen oder
startenden Zweirädern. Diese Flaggen zeigen dem gemeinen
Fußvolk sowie Protokollbeamten, Wach- und
Bedienungspersonal an, dass da eine Persönlichkeit von Rang
mitfährt. So gesehen erweist sich die Fußball-WM als großer Gleichmacher: Auch Hinz und Kunz fahren jetzt mit Stander. Schwarz-rot-gülden knattert die Fahne im Fahrtwind. Mit Freund Walter würde ich jetzt gerne diskutieren, ob die dieser Tage epidemische Ausbreitung schwarz-rot-goldener Staffagen ein Zeichen für neuen Patriotismus ist oder doch eher modischer Hype eines neuen Party-Accessoires. Aber Walter hat die Mitwirkung an einer weiteren Fußball-Kolumne kategorisch abgelehnt. Begründung: „Über Fußball schwätze ist Blech, gucke ist Gold.“ Also sitzt er Tag um Tag vor der Glotze – und ärgert sich allweil über ufer- und hemmungsloses Vor-, Zwischen- und Nachgesimpel. Wie ist das nun mit dem neuen Patriotismus? Ich sag mal so: Nationalfarben als Haarschmuck, Gesichtsbemalung und Bodypainting, die Flagge in T-Shirt-Form drüber oder als reizende Wäsche drunter, Narrenkappen, Pappbecher und Kondome in Landesfarben … Heinrich Heines Begriff „teutomanisch“ will dazu nicht recht passen, zumal die Gäste aus aller Welt mit ihren jeweiligen Farben genau den gleichen unpathetisch-verspielten Zinnober veranstalten. So war die WM, zumindest bis zum Achtelfinale, ein im Wortsinne kunterbuntes Völkerfest; ´ne Party halt. Ob meine Landsleute es auch so meinten, wird sich erweisen: Die Nagelprobe käme mit dem Aussteigen der deutschen Mannschaft aus dem Wettbewerb. Feiern wir als gute Verlierer dann weiter ein Völkerfest, oder wenden wir uns schmollend von der WM ab? Diese Frage die letzten Tage in einige Runden geworfen, ergibt eine verwirrende Stimmungslage. „Wir feiern auf jeden Fall bis zum Abpfiff am 9. Juli durch“, antworten die Einen. Andere erklären schon die bloße Frage zu grobem Unfug – denn „Deutschland kann nicht ausscheiden, Deutschland wird Weltmeister“. Hhmm, da beschleicht einen dann doch wieder eine gewisse Unruhe: Denn, hallo!, die Rede ist von einem Sportwettbewerb, an dem 32 Teams teilnehmen und 31 NICHT Weltmeister werden. Wie auch immer: Am 9. Juli ist alles vorbei. Dann kann sich der Deutsche Fußballbund seinem nächsten Etappenziel zuwenden: der Umwandlung der Bundesliga zur T-Com-Liga. Erst gingen die Spielfeldränder an den Markt, dann die Stadionnamen auf den Strich, jetzt folgen die Ligen – und dabei wird´s nicht bleiben. Eines baldigen Tages könnte das Koblenzer Theater nach einer Sektmarke benannt sein, Kölns Wahrzeichen Ford-Dom heißen, das mittelrheinische Weltkulturerbe – wie schon der Nürburgring - abschnittsweise die Namen multinationaler Industriesponsoren annehmen. Dann hieße ein Görres-Gymnasium vielleicht Microsoft-Schule, diese Burg Milka-Ressort und jenes Museum Sony-Center. Schwarz-rot-goldener Putz mag auch dazu hübsch aussehen, für den Gang der wirklichen Geschäfte ist das bunte Volksvergnügen freilich völlig belanglos. |
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