Kritiken Theater | |||
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2006-01-16: Kritik | |
Der
Kapitalismus frisst seine Kinder Sehenswert Inszenierung des Shaw-Stückes "Frau Warrens Beruf" in Koblenz |
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ape.Koblenz.
Jeder Tellerwäscher kann Millionär werden, bei
hinreichender
Tüchtigkeit. So geht die alte Mär – von
Millionären gern bemüht, von
Tellerwäschern selten
bezeugt. Im Stück „Frau Warrens Beruf“ von
George
Bernhard Shaw sieht die junge Vivie das ähnlich: Berufung auf
Verhältnisse gilt ihr als Ausrede der Bequemen. Das
Fräulein
weiß es nicht besser, denn gebettet auf Schecks von
Mama
wuchs es heran in Nobelinternat und Elite-Uni. |
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In
der jetzigen Koblenzer Inszenierung des – 1902 nach einer
Privaturaufführung von der britischen Zensur kassierten
–
Stückes ist Vivie eine besondere Type. Shaw lässt sie
knallhart sprechen. Etwa. „Ich hasse Ferien“ oder
„Ich liebe die Arbeit und das Geld, das man dafür
bekommt“. Museen, die Oper, Beethoven findet sie
ätzend.
Romantik und Schönheit brauche sie nicht. Doch Regisseur Dirk
Diekmann lässt dabei die Frau alle Register an
Freundlichkeit, Warmherzigkeit und Natürlichkeit ziehen. Wovon
Schauspielerin Madeleine Niesche eine ganze Menge mit sehr feinen
Stufungen in petto hat. Diese seltsame Ambivalenz Vivies ist die interessanteste Komponente einer Inszenierung, die bis hin zu den Kostümen (Gera Graf) und drei atmosphärischen Variationen eines Bühnenraumes (Susanne Chôlet) sehr schön stimmig ausfällt. Sie belegt die Gegenwärtigkeit eines zentralen Gedanken Shaws : Alle menschlichen Verhältnisse verwandeln sich im Kapitalismus zu Geldverhältnissen. Vivie empfindet das für sich keineswegs als Unglück, sondern sieht Arbeit und Geldverdienen als Erfüllung. War zu Shaws Zeit der Drang dieser Frau zu Berufstätigkeit und Unabhängigkeit von Mutter wie Heiratskandidaten ein Springpunkt, so provoziert heute gerade ihre totale Hingabe ans Geldschaffen Widerspruch. Vivie kann nicht mehr wie 1902 als Kämpferin für eine moderne Frauenschaft verstanden werden. Mit der kaltschnäuzigen Glückseligkeit ihres kulturlos-stumpfen Materialismus´ ist sie auch eine Bedauernswerte geworden. So verliert das Stück in Koblenz zu Recht seine Positivfigur. Shaw stellt Vivies Mutter, die aus ärmlichsten Verhältnissen kommende Prostituierte Kitty Warren, als Produkt der Verhältnisse vor und erhebt keine moralische Klage gegen ihren „Beruf“. Als spätere Bordellmillionärin ist sie allerdings auch Ausbeuterin. Unsere letzte Sympathie verspielt sie mit ihrem mütterlichen Besitz- und Machtanspruch über die erwachsene Tochter. Elisabeth Auer macht aus Kitty eine zwischen Opfer- und Täterrolle Verirrte. Sie steht als personifizierte Anklage gegen eine Doppelmoral, die soziale Ursachen der Prostitution ignoriert, Huren verdammt, aber die Augen schließt, wenn „ehrbare Geschäftsleute“ aus dem Gewerbe Profit ziehen. Schlecht kommen die Männer weg. Kittys aristokratischer Geschäftspartner Crofts (Thomas Hodina) will Vivie als Gattin kaufen, ihr bankrotter Verehrer Frank (Markus Angenvorth mit verspielter Dekadenz) sie als Finanzmittel heiraten. Dessen Vater (Olaf Schaeffer) will als Geistlicher seine Jugendsünden mit Kitty vertuschen. Sympathien zieht einzig deren Uraltfreund Praed auf sich. Den gibt Heinz Ostermann als fabelhaft kauzigen, der Kunst ergebenen, uneigennützigen greisen Gentleman. In Koblenz ist er der Narr im Spiel, der letzte wirkliche Mensch im Getriebe einer bigotten Geldgesellschaft. Sehr weise, sehr anständig und – sehr naiv. Sehenswert |
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