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2005-07-19: Feature | |
Antisemitismus in Popsongs versteckt Lehrer haben in Schulen mit unterschwelligem Rassismus zu kämpfen |
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ape.
Immer wieder werden Lehrer in der Schule mit antisemitischen und
rassistischen Äußerungen ihrer Schüler konfrontiert.
Viele reagieren erstmal geschockt und sind nicht umgehend in der Lage,
die fatalen Phrasen als falsch zu entlarven. Ein
Lehrerfortbildungsseminar in der Gedenkstätte des ehemaligen
NS-Konzentrationslagers Osthofen will Antworten geben und die
Pädagogen auf die verbale Auseinandersetzung vorbereiten. |
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"Es
muss mal Schluss sein mit der Holocaust-Aufarbeitung." "Die Juden gehen
mit den Palästinensern um wie die Nazis mit den Juden." "Juden
sind halt doch eine ganz eigene Rasse." Derartige Aussagen können
"bloß" Ausdruck von Gedankenlosigkeit oder Uninformiertheit sein.
Ebenso kann es sich um Manifestationen von Antisemitismus handeln, der
in jüngerer Zeit wieder verstärkt um sich greift, wie Lea
Rosh - Mitinitiatorin des Berliner Holocaust-Mahnmals - jetzt bei einer
Lehrerfortbildung im rheinland-pfälzischen Osthofen erklärte. Zum zweiten Mal fand in der Gedenkstätte auf dem Gelände des ehemaligen KZ-Osthofen ein Seminar statt, bei dem sich rund 20 Lehrer aus Rheinland-Pfalz mit "Antisemitismus in Schule und Gesellschaft heute" befassten. Eingeladen hatte eine Kooperation aus Mainzer Bildungsministerium, Lea Rosh Kommunikation & Medien GmbH und Landeszentrale für politische Bildung. Den theoretischen Teil gestalteten Referenten der Berliner Zentren für Antisemitismusforschung und für demokratische Kultur, den praktischen Teil übernahm der Rat für Kriminalitätsverhütung Ludwigshafen mit seinem Projekt "Argumentationstraining gegen Stammtischparolen". Rassistische Liedtexte Praxisbeispiele der beteiligten Lehrer machen deutlich, dass Antisemitismus unter Schülern oft nur schwer greifbar ist, weil er sich häufig in einem diffusen Gemenge aus Popkultur, Jugend-Provokation und affektiver Fremdenfeindlichkeit verbirgt. Der Auftritt in Form bewussten Neonazitums scheint eher die Ausnahme. Was die Problemlage weder harmloser noch einfacher macht. Berichtet wird von rockig-poppigen Musik-CDs mit extrem rassistischen und antisemitischen Liedtexten, die unter Schülern kursieren. Auf diese illegalen Scheiben angesprochen, hätten die Jugendlichen vielfach abgewinkt: "Ist doch nur geile Musik, die Texte interessieren uns gar nicht." In einem anderen Fall schildert ein Lehrer, wie er durch Schüler-Hinweis im Internet auf ein brutales Video-Spiel gestoßen ist, in dem es darum ging, "Juden zu klatschen". Für die Schüler war das wiederum "nur harmlose Action" - überhaupt sei das Internet ja voll davon. Subkultur entwickelt sich Offenbar, so die Diskussion in Osthofen, entwickelt sich hier ein Subkultur-Segment, über dessen Inhalte, Formen und Ausbreitung die Lehrerschaft, die Erwachsenenwelt generell, viel zu wenig weiß. Hinzu kommt nach Angaben der Referenten als neues Phänomen der Antisemitismus islamistischer Prägung. Bisweilen könne uns brutalste antijüdische Hetze bis hin zur NS-Verherrlichung ins Auge springen - wenn wir arabisch verstünden und begriffen, was da in manchen öffentlich gehandelten Zeitungen und Büchern gedruckt steht. Der Seminarverlauf in Osthofen macht klar, dass man bessere Information darüber braucht, was "am Markt", im Internet und gedruckt an entsprechenden CDs, Spielen, Pamphleten, Slogans, Trends im Umlauf ist. Dazu müssten staatliche Stellen ebenso beitragen wie ein Vertrauensverhältnis zwischen Lehrer und Schülern. Im Rahmen eines Rollenspiels "Klassenfahrt zur KZ-Gedenkstätte" werden in Osthofen an passender Stelle Lehrer mit Schüler-Maulereien konfrontiert, die die dargestellten NS-Gräuel für übertrieben halten und den "ganzen Kram" nicht schon wieder hören wollen. Das Spiel verdeutlicht, dass die Auseinandersetzung mit offenen oder unterschwelligen rassistischen und antisemitischen Haltungen vom einzelnen Lehrer und vom ganzen Lehrkörper klare Standpunkte sowie jede Menge sachliche und psychologische Kompetenz verlangt. Auf eine juvenile "Heil Hitler"-Provokation gar nicht oder mit einem trockenen Faktenvortrag zu reagieren, ist nach Ansicht der Seminarteilnehmer ebenso fehl am Platze, wie empört einem HB-Männchen gleich an die Decke zu gehen. Neben Rollenspiel und Vorträgen über die Geschichte Israels, über den Islam und den davon zu unterscheidenden Islamismus werden immer wieder Fragen aus dem Schulalltag, auch aus den Lehrerzimmern, zur Diskussion gestellt. Ist Kritik an der Politik Israels schon per se Antisemitismus? "Unsinn", erklären Lea Rosh und die Referenten übereinstimmend. Kritik an Politikern, Parteien und Maßnahmen Israels ist legitim - so lange sie nicht in rassistische Kategorien verfällt, etwas angeblich "typisch oder ewig Jüdisches" angreift oder in gezielter Leugnung der historischen Dimensionen israelische Palästinenser-Politik mit der fabrikmäßigen Judenvernichtung durch die Nazis gleichsetzt. Ist Judentum eine Rasse oder eine Religion? Die Antwort gibt ein Biologielehrer auf seine Weise: Nach den Erkenntnissen moderner Genetik sei es Unfug, die verschiedenen Menschengruppen auf der Welt überhaupt als unterschiedliche Rassen zu betrachten. Genetisch gesehen ist die Menschheit eine einzige Rasse. Demgemäß gibt es deutsche, russische, indische oder kenianische Bürger jüdischen Glaubens, der bei Strenggläubigen - wie in allen Religionen - allerdings eine spezifische Lebenskultur zur Folge haben kann. Anstöße für den Alltag Der Antisemitismus, hieß es in einem Referat, war in der Geschichte eine besondere Form des Rassismus: Er richtete sich nicht gegen Fremde draußen oder von außerhalb, sondern gegen andersgläubige Landsleute inmitten der eigenen Gesellschaft. Der fremdenfeindliche Spruch "Geh doch hin, wo du hergekommen bist", er war beispielsweise auf die Juden in Deutschland eigentlich nie anwendbar, denn sie sind hier daheim seit Menschengedenken. Weshalb der Holocaust auch als perfide Form deutscher Selbstverstümmelung betrachtet werden kann. Die Lehrerfortbildung in der Gedenkstätte Osthofen gab Denk-, Diskussions- und Verhaltensanstöße, die nun im Alltag unbedingt weiterentwickelt werden müssen. Allerdings nicht nur in der Schule und mit Schülern. |
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