Kritiken Theater | |||
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2005-06-06: Theater | |
Kleiner Kuss mit argen Folgen Eine sozial-pittoreske Übung |
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ape. Bad Godesberg.
Der 130-minütige Theaterabend im Godesberger Haus der Bühnen
Bonn beginnt mit langem Schweigen. Zwei einfache Leut" sitzen im
Bahnhof, warten auf den allweil verspäteten Regionalzug. Schmutzig
geplättete Mauersockel, Gras auf dem Fußboden, hinter einem
großen Rückwandfenster stellt Stationsvorstand Hudetz
betulich Signale (Bühne: Peter Scior). Provinz-Tristesse, nachher
erfüllt von boshaftem Maulzerreißen der vorherigen
Maulfaulenzer. |
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Dem
Volk auf den Mund und dahinter pflegen Ödön von
Horváths (1901-1938) Stücke zu schauen. Auch "Der
jüngste Tag" ist eines der für ihn typischen
bitterbösen, weil der Unerbittlichkeit des
Spießbürgerlichen nachforschenden Volksstücke. Der
Inszenierung von Christopher Roos ist unschwer das schon fast
verzweifelte Bemühen anzusehen, den Volksstück-Charakter in
die Gegenwart herüber zu retten. Es bleibt beim Bemühen:
Selbst die auf heute getrimmten Kostüme oder die Öffnung der
Hinterbühne als Raum für weite Graslandschaft und
Beton-Brückenpfeiler führen, statt in provinzielle Gegenwart,
atmosphärisch stets nur ins Gestern oder Vorgestern. Das kommt, weil Horváths Text von 1935 gesprochen wird wie 1935, und die Schauspieler sich aufführen, wie ihre Eltern oder Großeltern es damals getan hätten. Es hat den Anschein, als glaube die Regie, dass auf dem Land die sozialpsychologischen Bedingungen von heute mit den seinerzeitigen, von Horváth sehr genau beobachteten, weitgehend identisch sind. Das lässt die Inszenierung aufgesetzt wirken, macht sie zu einer ziemlich sozial-pittoresken Übung, verleiht ihr schier musealen Charakter. Die übermütige Landgöre Anna gibt dem Stationsvorsteher einen Kuss. Bloß ein Spaß, um die berüchtigte krankhafte Eifersucht von dessen Gattin anzustacheln. Der Beamte versäumt darüber erstmals im Leben, ein Signal zu stellen. 18 Tote beim so verursachten Zugunfall und ein Meineid, den Anna schwört, um Hudetz vor dem Gefängnis zu bewahren, sind die Bedingungen für alle nachfolgenden Schrecklichkeiten des Stückes. Verdichtungen erfährt dieser Abend immer dort, wo Anna und Hudetz direkt aufeinander stoßen. Dann kontrastiert die stoische Schicksalhaftigkeit von Bernd Brauns Spiel mit der fragilen, stets von bösen Geistern gefährdet erscheinenden Jugendfrische von Verena Bukal. Ein dritter Mime gibt dem Abend Momente berührender Kraft: Günter Alt in der Rolle von Drogeriebesitzer Alfons. Als Bruder der verbiesterten Hudetz-Gattin wird er von der launenhaften Kleinstadtgesellschaft erst geächtet, dann hoch geachtet. Mal unterwirft sich Alfons dem nach kollektiver Vorverurteilung gierenden Spießermob, mal rebelliert er dagegen. Alt reagiert subtil auf die kruden Mechanismen von Massenhysterie - was ein guter Ansatzpunkt für eine spannendere Inszenierung wäre. |
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