Kritiken Theater | |||
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2005-05-27: Theater | |
Die Idylle täuscht Anselm Weber mischt sich in Familiendiskussion ein |
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ape. Frankfurt.
Es gibt ein paar Theaterklassiker, für die Dürrenmatts
ansonsten berechtigte Forderung an die Regie, sie möge
interpretieren, statt bloß zu inszenieren, wenig bringt. Henrik
Ibsens "Wild-ente" von 1885 ist so ein Stück, das keiner Deutung
bedarf, um unmittelbare Relevanz auch für heutige Zuseher zu
entfalten. Regisseur Anselm Weber beschränkt sich am Schauspiel
Frankfurt denn auch auf ein paar Unterstreichungen und die Versetzung
des Geschehens per Kleiderordnung vom 19. ins 20. Jahrhundert. In
diesem Fall: gut so. |
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Unterstrichen
wird die Familienidylle im Hause Ekdal - Weber dreht die
Atmosphäre dazu bisweilen ins Komödienmäßige. Der
Großvater (Norbert Schwientek) schlurft Pfeife schmauchend durch
die Tür in der Rückwand des Wohnateliers, um auf dem (nicht
einsehbaren) Speicher Hühner, Hasen und eine angeschossene
Wildente zu versorgen. Bisweilen geht er dort in seinem Fantasie-Wald
auf die Jagd. Sohn Hjalmar hat stets Kopf und Mund voll von
tüchtigen Absichten. Liebevoll umfangen er, Ehefrau Gina und
Tochter Hedvig einander in gemütlicher Häuslichkeit. Trotz
knappen Geldes ein wohliges Heim glücklicher Menschen. Unterstrichen wird ebenso die Unwahrheit dieser Idylle. Tatsächlich ist der Hjalmar von Andreas Grothgar ein großspurig-kleinbürgerlicher Nichtsnutz, der nie den Schritt vom Plan zur Arbeit macht. Über Wasser und bei Laune halten ihn die fleißige Frau (proletarisch-lebenspraktisch: Leslie Malton) und die kindliche Vaterliebe der Tochter (herzig, naiv: Anja Boche). Tatsächlich ist der Großvater ein gebrochener Mann, vom Ex-Kompagnon, dem Industriellen Werle, ausgebootet. Die Wahrheit kommt noch schlimmer, als Werles Sohn Gregers im Rechtschaffenheitsfieber Hjalmar eröffnet, Gina habe ein Verhältnis mit Werle gehabt und Hedvig sei eine Frucht dieser Liaison. Gregers ist kein schäumender Prediger, er schöpft seinen perfiden Rigorismus, der schließlich die unschuldige Hedvig umbringt, aus eher kühler Intellektualität. Hier die großen und kleinen Lügen, die eine oberflächliche Idylle begründen und ein halbwegs stabiles Leben in scheinbarem Glück ermöglichen. Dort rigoroser Wahrheitsfanatismus, der Hjalmar aus der Geborgenheit vermeintlicher Ordentlichkeit hinausschleudert - Frau und Kuckuckskind will er verstoßen. Ibsens Stück lässt nur die Wahl zwischen Teufel und Belzebub. Die sparsamen Unterstreichungen, die Anselm Weber vornimmt, machen die Inszenierung zum leisen Einwurf in die Diskussionen über Familie in der heutigen Gesellschaft. Das Theater bietet keine Lösungen, aber es macht falsche Zungenschläge und manche Illusion kenntlich. |
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