Kritiken Theater | |||
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2005-04-11: Theater | |
Nathan der Ängstliche Irmgard Lange hat den Theaterklassiker schlüssig und sehenswert modernisiert |
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ape. Mainz.
Kein orientalisches Märchen. Keine Religionsparabel aus der
Kreuzzugs-Epoche. Kein über den Zeiten schwebendes
Toleranz-Lehrstück . Irmgard Langes Inszenierung von Lessings
Klassiker "Nathan der Weise" spielt am Staatstheater Mainz im Hier und
Jetzt. Und die Bühne ist bevölkert von Menschen, die so gar
nicht edel und gut sind, sondern berechnend ihre Interessen verfolgen
oder der Not gehorchen. |
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Alle
Paar Minuten donnern Kampfjets über den Ort. Dann klirren die
Flaschen auf dem Servierwagen, bröselt Staub von der Decke, schaut
entnervt bis verängstigt nach oben, wer sich gerade im Raum
aufhält. Robert Ebelings Einheitsbühne im Kleinen Haus des
Mainzer Theaters stellt das ehemals marmorprächtige Foyer eines
Hotels dar. Das Eingangsportal ist weggesprengt, der Marmor stumpf oder
aufgebrochen, Wasser gibt"s nur aus einem Notschlauch. Regisseurin Irmgard Lange versetzt Lessings "Nathan" in ein Umfeld, das sich in zivilisatorischer Auflösung befindet, wie latenter Krieg sie mit sich bringt - in Palästina, in Kleinasien, auf dem Balkan oder sonst wo. Das gefährdete Hotel als Sinnbild für einen begrenzten Raum, in dem verfeindete Gruppierungen unter einem Dach leben (müssen), sich aber das Leben schwer machen. Wo Überlebenskampf Alltag ist, beginnen auch große Geister nach Angst zu riechen. Verglichen mit anderen "Nathan"-Einrichtungen mangelt es dem Titelhelden hier gehörig an Selbstbewusstsein. Der weise Jude erinnert in Mainz stark an Arthur Millers Handlungsreisenden: Von Krieg, Scheiterhaufen, Muselmanen, Spionen bedroht, verbietet Thomas Marx seiner Figur jede aufklärerische Heroik. Wie er dem Sultan die Ringparabel vorträgt, das ist nicht aufrechte Belehrung, sondern schwitzendes Reden ums eigene kleine Leben. Womit Nathan gut beraten ist. Denn die Verständigkeit des Herrschers (Thomas Kienast), mehr noch seiner Schwester Sittah (Solveig Krebs), finden in Langes Sicht ihre Grenze in der dekadenten Lust am unberechenbaren Schicksal-Spielen. Überhaupt neigt die Regisseurin in ihrer auf sehr interessante und schlüssige Weise modernisierten Inszenierung hinsichtlich des menschlichen Charakters unter heutigen Bedingungen zu noch ärgerem Pessimismus als Lessing um 1779. Da gibt es, außer Nathans Ziehtöchterchen Recha, keine Person, die nicht hauptsächlich auf den eigenen Vorteil aus wäre: Michael Schlegelbergers christlicher Patriarch ist ein erbarmungsloser Machtpolitiker; Andrea Quirbach eine berechnende und skrupellose Gesellschafterin im Hause Nathans; Stephan Bieker spielt den kleinen Mönch als schmierig herumschleichenden, geldgierigen Intriganten. Dem jungen Templer von Markus Heinicke hilft selbst flammende Liebe zum vermeintlichen Judenmädchen nicht über soldatische Verrohung und besitzen wollende Egozentrik hinweg. So müssen wir denn alle Hoffnung fahren lassen? Irmgard Lange hält einen kleinen Lichtspalt am finsteren Menschheitshorizont offen: Recha, die in Tatjana Kästels frischer, fast kindlicher Spielweise den Hort natürlicher Humanität darstellt. Indem sie nicht als Heilige, sondern als naiv schäumendes, auch keck gegen die verbrauchten Autoritäten aufmuckendes Mädchen daherkommt, lebt sie ganz selbstverständlich Lessingsche Utopie: Der Zwist der Religionen bedeutet ihr nichts - über ihnen steht ihre Liebe zum Leben und den Menschen. Ein vager Hoffnungsschimmer nur. Denn dass dieses Mädchen in diesem Kriegstrümmerhotel sich treu bleiben kann, ist unwahrscheinlich. |
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