Kritiken Theater | |||
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2005-03-21: Theater | |
Brandheiß Wiederkehr der Sozialen Frage auch am Theater |
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ape. Wiesbaden.
Gerhart Hauptmanns Berliner Tragikomödie "Die Ratten" kam am
Staatstheater Wiesbaden jetzt als bedrückendes Sozialdrama auf die
Bühne. Obwohl konservativ ausgespielt, entwickeln die 1911
dramatisierten Problemstellungen im Jahr 2005 - wieder - erstaunliche
Sprengkraft. |
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Es
ist nur recht und billig, Hauptmann zu spielen in Zeiten, da die
Soziale Frage sich mit Macht neuerlich auf die Tagesordnung
drängt. Es ist ebenfalls recht und billig, "Die Ratten" auf die
Bühne zu bringen in einem Moment, da wegen des Absinkens der
deutschen Geburtenrate unter die Reproduktionsschwelle aus fast allen
politischen Ecken schier panisches Fordern ertönt: Gründet
Familien, zeuget und gebäret Kinder! Nicht, dass Hauptmann oder das Theater etwas gegen Familien und/oder Kinder hätten. Aber wenn, wie derzeit, allenthalben lieblicher Idealismus geritten wird, fällt der Kunst die Aufgabe zu, Realitäten ins Gedächtnis zu rufen: Familie und Familienglück sind zweierlei Stiefel, Mutterschaft bedeutet nicht automatisch Mutterglück. Denn das wirkliche Leben hält auch manch düstere Bedrängnis bereit. Oder, wie es bei Brecht heißt: Die Verhältnisse, sie sind nicht so. In "Die Ratten" muss Maurerpolier Paul John nach Hamburg auf Arbeit, muss seine Henriette jeweils über Wochen allein in Berlin zurücklassen. Ein braver Arbeitsmann ist das - mobil, flexibel in einem sehr heutigen Sinn. Sein größter Wunsch: ein Kind und dann gemütliches Familienleben. Jessica Steinkes Inszenierung witzelt nicht über diesen bescheidenen Lebenstraum. Thomas Klenk nimmt ihn als verlässlich-liebenswerter Facharbeiter-Typ Paul ernst. Doch die unsichtbare soziale Rutschbahn reicht bis in seine Wohnstube, die Bühnenbildner Ullrich Frommhold in einen aufklappbaren Kasten inmitten des riesenhaften Bretterspeichers von Theaterdirektor Hassenreuther aufgebaut hat. Und die Johns rutschen. Dorthin, wo Nachbarsmädchen Selma (Alexandra Finder) mit dem schwindsüchtigen Säugling ihrer drogensüchtigen Mutter nicht zurande kommt. Dorthin, wo die ärmliche und hochschwangere Polin Pauline von einem Tunichtgut sitzen gelassen wurde und ihr zwischen Lumpen Geborenes der Henriette John verkauft. Etwas arg schrill gezeichnet, vertreten Selma und Pauline in schäbigem Proll-Flitter, kaum des Sprechens mächtig, jenes Subproletariat, das am Ende der Rutschbahn auf das Arbeiterpaar John wartet. Die Zersetzung, die rattige Zernagung kleinbürgerlicher Stabilität wird in Wiesbaden sinnbildlich im Verfallsprozess der Frau John. Paulines Kind gibt sie auch dem Ehemann gegenüber als das ihrige aus. Glücklich soll er sein und sie nicht mehr so alleine. Ein Meisterstück realistischer Spielweise ist Julia Wieningers Hinübergleiten von der bodenständigen Arbeiterfrau zur verstörten, am Rande des Wahnsinns agierenden Furie. So wirklichkeitsnah diese Darstellung, so banal das Spiel auf der zweiten, der komischen Handlungsebene. Dort tobt zwischen dem alten Theaterpatriarchen Hassenreuther (Franz Nagler) und seinem Schüler Spitta (Jan Käfer) ein Kampf um die Frage, ob kleine Leute nicht ebenso Gegenstand der Bühnenkunst sein können wie Könige. Der Regie fielen dazu leider nur die - hier saftig gespielten - Stereotypen altbackenen Chargenspiels ein. |
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