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2004-09-09 Kommentar: | |
Enttäuschte Hoffnungen Zur Stimmung der Deutschen im Herbst 2004 |
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ape.
Wörtlich nehmen muss man es nicht, wenn in einer Umfrage
zwölf Prozent der Ostdeutschen und 24 Prozent der Westdeutschen
angeben, es wäre besser, die deutsche Mauer würde noch
stehen. Das schräge Votum ist wohl eher ein überspitzter oder
ein hilfloser oder auch ein zorniger Ausdruck von gehörigem
Unwohlsein angesichts des derzeitigen Gangs der wirtschaftlichen und
sozialen Angelegenheiten im Land. Interessant die Verkehrung der
Ergebnisse gegenüber früheren Umfragen: Heute sind mehr
Westler Mauer-Nostalgiker. Da wird die Ursache, wird ein
Sündenbock für die tiefgreifenden Verwerfungen in Wirtschaft
und Gesellschaft während der zurückliegenden 15 Jahre gesucht
- und in den Kosten der Wiedervereinigung meint man, ihn zu finden. Ost- wie Westdeutsche müssen jetzt erleben, dass eines der großen gesellschaftspolitischen Nachkriegsversprechen nicht (mehr) eingelöst wird: Versprochen war, dass eine friedliche, gleichberechtigte Koexistenz von Kapital und Arbeit im System der Sozialen Marktwirtschaft Wohlfahrt für alle in einer stabilen, demokratischen Lebensumwelt bringen würde. Auf diese Grundsäule baute die Bonner Republik, vertrauten ihre Bürger; auf ihre Verlässlichkeit auch für eine vereinigte Berliner Republik hofften die Montagsdemonstranten von einst bei ihrem Ruf "Wir sind ein Volk". Inzwischen sind Vertrauen und Hoffnung von Schwindsucht befallen, greift die Befürchtung um sich, das Modell Soziale Marktwirtschaft habe ausgedient, werde Zug um Zug ersetzt durch das Hauen und Stechen einer "freien" globalen Marktwirtschaft - "befreit" von allen sozialen Beschränkungen und Verpflichtungen. Diese Revolution von oben stellt die schon den Geschichtsbüchern überantwortete "soziale Frage" wieder auf die Tagesordnung, früher oder später mit allen ihren notorischen Unruheerscheinungen. Vertrauensverlust in die bürgerlichen Parteien, Montagsdemonstrationen heute, fortschreitende Auflösung familiärer und anderer Sozialgefüge sind möglicherweise nur Vorboten. Nein, die Wiedervereinigung ist nicht Ursache der geschilderten Entwicklungen, sie hat sie nur verschärft. Die Sozialstaaten der europäischen Nachbarn stehen vor ähnlichen Problemen, ohne dass dort irgendeine Nationalfrage mitverursachend wirken würde. Es ist nun mal so, dass das alte West-Europa nach dem Zweiten Weltkrieg überwiegend auf das Modell Soziale Marktwirtschaft gebaut hat. Portugal und Spanien mussten sich dazu sogar nachgezogen ihrer überkommenen Diktaturen entledigen. Es war ein brauchbares Modell, besser als jede Mauer mitsamt dem rigiden Staatsmonopolismus dahinter. Jetzt freilich steht es zur (ökonomischen) Disposition - dies ist das eigentliche Problem. Andreas Pecht |
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