Meine Bücher sind ein Teil von mir

Quergedanken Nr. 159

ape. Alle paar Jahre bricht erneut das gleiche Problem über mich herein. Und stets hat Freund Walter dann nur ätzenden Spott übrig. „Trenn dich, schmeiß weg, verschenke! “ So spricht er kaltschnäuzig – derweil ich ratlos vor überquellenden Bücherregalen stehe und nicht weiß, wohin mit den jüngeren Neuerwerbungen, die sich heimatlos auf dem Fußboden stapeln. Ach, wenn das so einfach wäre: Bücher weggeben, auf Nimmerwiedersehen aus dem Haus schaffen. Praktisch keine Schwierigkeit, krieg ich es seelisch nicht über mich. Schließlich ist jedes Buch ein bleibendes Stück meines Lebens und kein Schnitzel, das man futtert, um die verdauten Reste nachher durchs Klo zu spülen.

Neue Regale anbauen? Geht nicht. Im Häuschen sind bereits alle verwertbaren Wände vom Fußboden bis zur Decke zugestellt. Das war vor fünf Jahren wie auch vor zehn Jahren schon so. Jeder bei mir einbrechende Dieb wäre bald deprimiert, weil er nichts für ihn von Wert fände. Alle Technik im Haus veralteter Krempel, nirgends Schmuck, Gold oder Geld; nur Bücher allüberall nebst etlichen Regalmetern voller CDs. Meine Lösung des Überfüllungsproblems alle paar Jahre: Tagelang schwermütig die Regale auf und nieder immer wieder absuchen – nach Büchern, die in Kartons verpackt, in die Etappe auf dem Dachboden versetzt werden können.

Das ist ein quälender Prozess. Eben hast du einen Titel zur Emigration ausersehen, weil er dir auf Anhieb nichts sagt, also auch nicht besonders wichtig gewesen sein mochte. „Doch dann“, brummt  Walter dazwischen, „blättert der Narr darin herum, liest ein paar Sätze: Gleich öffnen sich in seinem Hirn verstaubte Schubladen, kommen Buch-Inhalt, einstige Leseumstände, damalige Lektüregefühle etc. wieder zum Vorschein.“ Ja, genauso ist das, jedes Mal: Da bringt sich ein Druckwerk aufs nächste als alter Freund und Weggefährte in Erinnerung. Die kann man doch nicht einfach in einer dunklen Kiste auf dem Speicher wegsperren.

„Du bist ein komischer Kauz“, raunzt der Freund. Er hat gut reden, denn ein Großteil der durchaus nicht wenigen Bücher, die er sein Lebtag las, waren Ausleihen aus meinen Beständen. Um pfleglichen Umgang und Rückgabe musste ich oft geharnischt kämpfen, weil dem Freund ein Buch, das er gelesen hat, hernach kein Pfifferling Aufmerksamkeit mehr wert ist. Weshalb ausgerechnet er, der sonst mit neuer Technik kaum was am Hut hat, mit so einem elektronischen Lesetablet rummacht. Und er liebt es – das platte Maschinchen, mit dem er unzählige ihres Körpers beraubter Buchgeister aufmarschieren und nach Belieben wieder verschwinden lassen kann.

Das ist nun wiederum eine Haltung, die ich partout nicht begreife. Denn Lektüre ohne leibliches Buch kommt mir vor wie ein Liebesakt ohne Hautkontakt. Wer also ist eigentlich von uns beiden der komischere Kauz? Walter lenkt ein: „Da haben wir mal wieder eine Sache, bei der es kein Gut oder Schlecht, weder Richtig noch Falsch gibt. Wir sind halt verschieden und ein jeder möge nach eigener Fasson glücklich werden.“ Immerhin räumt er ein, in der kalten Jahreszeit sich nirgendwo behaglicher zu fühlen als beim Plaudern, Trinken, Schmausen, Schmauchen inmitten meiner Büchertürme. Jetzt aber besteht er darauf, dass Bücher zwecks Etappenverlagerung auszusortieren, ein Arbeit für Schlechtwettertage ist. „Sei g‘scheit“, sagt er, da die Sonne scheint. „Wir hocken uns ins Straßencafé und genießen Frühlingsschönheiten.“ Ich bin gerne g‘scheit.    

Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website 17. Woche im April 2018
                                           

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