"Preußen ist der Tartuffe unter den Staaten"

Szenische Montage von Heine-Texten auf Schloss Stolzenfels und Burg Brohleck

ape. Koblenz/Brohl. Das Rheinland gedenkt 2015 seiner Einverleibung ins Königreich Preußen vor 200 Jahren als Folge der europäischen Neurordnung durch den Wiener Kongress. Die Kampagne steht unter dem Motto „Danke Berlin” – was manchem heutigen Bewohner der einstigen preußischen Rheinprovinz von Kleve bis Bingen und Trier bis fast Wetzlar die eine oder andere Falte der Missbilligung auf die Stirne treibt. Umso erfreulicher, dass jetzt auch einer zu Wort gekommen ist, der auf die berlinische Fremdherrschaft am Rhein nie gut zu sprechen war: Heinrich Heine, in einer Person Preußenfeind und Republikaner, Franzosenfreund, Europäer und Rheinromantiker.

An diesem Wochenende führte die Koblenzer Gruppe „Theater am Werk” auf Schloss Stolzenfels sowie im Rahmen des Mittelrhein Musikfestivals auf Burg Brohleck ihre Heine-Textcollage mit Musik auf. Unter dem Titel „Tirily! Tirily! Ich lebe! Ich fühle den süßen Schmerz...” skizzieren ein Schauspieler, ein Sänger und zwei Musikerinnen zentrale Aspekte aus dem Leben des 1797 in Düsseldorf geborenen Dichters mit dessen eigenen Sätzen und Versen.

Den Abend auf Burg Brohleck eröffnet das Cello (Laura Maria Bastian) mit einer zarten Melodei. Nein, es ist nicht das Loreley-Lied. Denn Freund Heine möchte womöglich noch im Grabe mit den Zähnen knirschen, wüsste er, dass dieses Gedicht zum Synonym für die allersüßlichste Rheinromantik und sein weltweit berühmtestes Werk geworden ist. Dabei hatte er mit den Versen über die lockende Rheinsirene eigentlich überspannte Gefühlsduseligkeit seiner romantisierenden Zeitgenossen ironisch verspotten wollen. Also intoniert das Cello einen anderen, nicht von Heine stammenden Evergreen: „Ach, wie ist es am Rhein so schön” – um alsbald von der E-Gitarre (Katrin Zurborg) mit scharf tönender Marseillaise unterbrochen zu werden.

Damit ist das Leitmotiv des Abends vorgegeben: Die Paarung Deutschland/Frankreich, die das Leben Heines ebenso prägte wie die Tragödie des Rheinlandes als Zankkapfel zwischen verfeindeten Brudervölkern. „Ich liebe Deutschland und die Deutschen, aber nicht minder die übrigen Bewohner der Erde”, spricht Heine durch den Mund von Schauspieler Stephan Rumphorst. Der und sein gesanglicher Partner Friedrich Bastian zeichnen in szenischer Rezitation den Düsseldorfer als nachdenklichen und empfindsamen, gleichwohl der Liebeslust wie den Lebensfreuden zugetanen Mann und Dichter. Dieser aber leidet zugleich an und begehrt publizistisch auf gegen die dumpfe „Teutomanie” seiner Landsleute, die Liebe zur Heimat verwechseln mit Hass gegen das Fremde.

„Der Deutsche gleicht dem Sklaven, der gehorcht ohne Fessel” wird Heine zitiert. Und: „Ich betrachte mit Besorgnis diesen preußischen Adler. Tief widerwärtig ist mir das Preußen”, das er mit beißender Ironie geißelt als den „Tartuffe unter den Staaten”, den Scheinheiligen. Freiheitsdurstig und süchtig nach Leben flieht Heine vor preußischer Zensur und Nachstellung, vor deutschtümelnder Enge nach Frankreich, atmet in Paris die Luft freisinniger Bürgerlichkeit. Bald aber und für den Rest seines Lebens wird der Dichter bis ins Mark von Heimweh geplagt. Heimweh nach den Räumen seiner Kindheit, nach den rheinischen Landschaften, nach der „deutschen Muse, der guten Dirne, die mich tröstete”.

Dem Ach und Weh, der melancholischen Poesie Heines gibt das von Waltraud Heldermann eingerichtete Bühnenprogramm mit aus kunstvoller Schlichtheit resultierender Eindringlichkeit breiten Raum. Vielleicht etwas zu breiten im Verhältnis zum politischen, giftigen, satirischen Zeitkritiker, den wir nicht minder lieben – und dessen wir heute wieder bedürfen, weil er eine so wertvolle Haltung verkörpert: Der vermeintlich vaterlandslose Geselle liebt sein Vaterland über alle Maßen. Und gerade deshalb sehnt er sich danach, dass die Heimat frei sein möge und keinem nationalen Überlegenheitswahn anhänge. „Der Rhein gehört mir!” ruft der Dichter aus, will das Rheinland weder den Preußen noch den Franzosen überlassen – sondern allein freien Rheinländern.      

Andreas Pecht

 

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