Im Badeshaus des Doktor Frankenstein

„Die 28 Jahreszeiten” – Ballettabend am Theater Koblenz mit scharfen Kontrasten

ape. Koblenz. Vorhang auf, und wir erkennen… Ja, was eigentlich? Rätselraten zieht sich durch den  ersten Teil des neuen Ballettabends von Steffen Fuchs am Theater Koblenz. Im zweiten Teil von „Die 28 Jahreszeiten” gibt es dann stattdessen Schönes zu betrachten. Obwohl unter einer Überschrift stehend und zu Werken desselben zeitgenössischen Komponisten, Max Richter, choreografiert, handelt es sich um zwei völlig eigenständigen Arbeiten: vorweg zum Musikstück „24 postcards in full colour” (vom Band) frei assoziatives Tanztheater, hernach zu „The four seasons recomposed” (live) neoklassisches Ballett.

Raten wir also, was es im Anfangsteil zu sehen gibt. Von dieser Welt ist es nicht. Konstanze Grotkopp hat eine Bühne gebaut, die an ein Hallenbad erinnert, doch sind die Kacheln schwarz und steht im leeren Becken eine Badewanne. In selbiger windet sich ein seltsam' Wesen (Arkadiusz Glebocki), halb Mensch, halb schwarzhäutiges Monster mit weißen Beulen auf dem Rücken. Mag sein, das ist der Homunculus, der im Koblenzer „Faust II” nicht auftreten darf. Hier heißt er Frank; den Namen teilt er sich mit vier anderen in der düsteren Badehaus-Gesellschaft.

Frank nach Frankenstein, also Dr. Frankensteins Geschöpfe? Die Assoziation liegt nahe, denn es stehen, schreiten, schleichen, zucken, kriechen, geistern da Klon-Zwillinge (Clara Jörgens, Rory Stead) und eine vermenschlichte Laborhäsin (Kaho Kishinami) um das Wannenmonster. Von einem erhöhten Gang hinter Milchglas steigt bald ein weiterer Frank hinzu. Im Stutzer-Outfit mit weißen Handschuhen könnte das der Meister selbst sein. Zumindest bringt sein Erscheinen einiges durcheinander: So verbandelt er sich mit dem einen Zwilling, was beim andern zu zornig-frustriertem Gepolter führt.

Den Wechseln von Richters 24 sehr unterschiedlichen Musikminiaturen folgend, richtet sich die Aufmerksamkeit auf wechselnde Aktionen wechselnd hervorgehobener Akteure. Allerdings: Was zu hören ist, motiviert selten Ausbrüche aus einer darstellerischen Grundatmosphäre sich meist wie in Trance dahinschleppender Vieldeutigkeit. Was will die uns sagen? Keine Ahnung. Jeder muss wohl seine eigene Deutung finden. Tanztechnisch sind die Herausforderungen niedrig – und hat das Koblenzer Ballett zu den gegenwärtigen Höhen modernen Ausdrucks jenseits der Neoklassik noch ein gutes Wegstück vor sich.

Anders im zweiten Teil zu Richters Neufassung von Vivaldis „Vier Jahreszeiten”. Da fühlen sich Choreograf und Compagnie sichtlich zuhause - fabelhaft unterstützt von der Rheinischen Philharmonie unter Leslie Suganandarajah mit Chuanru He an der Solovioline. Während Ami Watanabe, Alexey Lukashewitsch und Michael Waldrop in fast klassischer Strenge – mit einigen humorigen Einsprengseln – dem Stück vage Momente einer Rahmenhandlung mitgeben, bleibt das Auge des genauen Betrachters immer wieder an einer Tänzerin im Hintergrund hängen: Clara Jörgens. Letzte Saison nach Koblenz gekommen, gefiel sie im ersten Teil als einer der Zwillinge, tanzt jetzt als Gleiche unter Gleichen die bunte Folge oft trefflich die musikalischen Stimmungen aufgreifender Formationen mit.

An Kostüm, Maske, Haartracht lässt sie sich nicht erkennen, denn die sind einheitlich für alle. Identifizierbar wird sie an ihrer Art, jeder Bewegung echte Seele mitzugeben. Das sahen wir hier  zuletzt bei Iskra Stoyanova und mehr noch bei Irina Golovatskaia. Diese wunderbare Eigenart steckt bei Jörgens noch in den Anfängen, wird hier leider auch durch einige technische Schwächen überdeckt. Aber damit ist sie nicht allein: Die weithin starke Choreografie des zweiten Teils krankt bei der Premiere allgemein an zu vielen kleinen Patzern, Ungenauigkeiten, Betulichkeiten.
               
Andreas Pecht

 

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