Daniel Raiskins letzte Koblenzer Saison

Interview mit dem Chefdirigenten des Staatsorchesters Rheinische Philharmonie

ape. Koblenz. Mitte 2016 endet Daniel Raiskins dann elf Jahre währende Zeit an der Spitze des Staatsorchesters Rheinischen Philharmonie. Ich sprach mit dem scheidenden Chefdirigenten über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft

ape:
Herr Raiskin, sie gehen nun in ihre letzte Saison mit dem Staatsorchester Rheinische Philharmonie. Im Frühsommer 2016 endet dann nach elf Spielzeiten ihr Engagement als Chefdirigent in Koblenz. Wie fühlt man sich denn beim Eintritt in eine solche Schluss- oder Abschiedsphase?

Raiskin:
Eigentlich sehr glücklich. Nicht etwa, weil es bald zu Ende ist, sondern weil es so lange dauern durfte. Genau genommen ist meine Beziehung zu diesem Orchester sogar noch ein Jahr länger, denn wir sind uns erstmals begegnet im November 2004 bei Proben zu einem Projekt. Damals entstand sofort gegenseitiger Respekt und der Wunsch, mehr miteinander zu machen. Seit dieser Zeit hatten wir einen sehr intensivem Kontakt. Also wird die Verbindung schließlich zwölf Jahre bestanden haben. Das empfinde ich auch deshalb als Glück, weil es heute eher selten ist, dass Dirigenten mehr als fünf bis sieben Jahre bei einem Orchester bleiben. Ich selbst komme aus einem Musikmilieu, in dem sich Dirigenten oft 30 und mehr Jahre mit einem Orchester verbunden haben.

Demnach wird ihnen der Abschied nicht ganz leicht fallen?

Nein. Denn es ist der Abschied aus einer Beziehung, die – trotz naturgemäß gelegentlicher Spannungen bei der Arbeit – von Harmonie geprägt war. Und die musikalisch sehr viel bewegen konnte, in unserer letzten Spielzeit auch noch bewegen wird.

Mancher Musikfreund hier hat noch nicht recht verstanden, warum sie ihr Amt in Koblenz überhaupt aufgeben. Schließlich müssten sie nicht gehen. Erklären sie uns noch einmal kurz ihre Beweggründe, den Vertrag nicht zu verlängern.

Ich bin auch Pragmatiker und werde lieber vermisst als weggewünscht. Das bringt zwar das Risiko mit sich, dass man vielleicht etwas zu früh geht. Was aber allemal besser ist, als deutlich zu spät. Sie mögen es Intuition nennen; ich hatte jedenfalls das Gefühl, die Zeit sei reif für eine Veränderung – bevor womöglich irgendwelche Umstände eintreten, die das ganze Glück dieser zwölf Jahre verderben könnten. Mir war und ist es wichtig, diese Ära, die Orchester, Publikum, Stadt, Land und ich gemeinsam bewältigt haben, so abzuschließen, dass man sich schweren Herzens voneinander trennt, doch vielleicht bald im Konzertsaal wieder einmal gerne treffen möchte.

Auch wenn sie noch andauert, lassen sie uns dennoch einen kleinen Rückblick auf ihre Koblenzer Phase werfen. Die war ja nicht immer ruhig, sorglos, einfach. Als sie kamen, wirkte der Streit um die Orchesterstruktureform noch nach. Sie haben hier einige Intendantewechsel erlebt und hatten es ingesamt mit sieben verschiedene Intendanten zu tun: drei im eigenen Haus, zwei im Stadttheater, zwei beim Musik-Institut. Dazu die schwere Zeit als die Rhein-Mosel-Halle nicht fertig werden wollte. War Koblenz für sie besonders schwierig?

(lachend): Herr Pecht, es könnte ja fast der Eindruck entstehen, ich hätte sieben Intendanten verschlissen. Ein so grantiger Kerl ist der Raiskin nun auch wieder nicht. Aber im Ernst: Koblenz war für mich nicht übermäßig schwierig. Sagen wir so: Für manchen der besagten Intendantenwechsel war einfach die Zeit reif. Herr Wegeler hat das Musik-Institut lange und leidenschaftlich geführt, dann aber aus Altersgründen entschieden, das Staffelholz an die nächste Generation weiterzugeben. Wir mögen einander, auch wenn, wie sie sich denken können, es zwischen zwei so leidenschaftlichen Persönlichkeiten bisweilen funkte. Doch letztlich siegte immer der Respekt voreinander und die gemeinsame Liebe zur Musik. Seinem Nachfolger Dr. Theissen kann gar nicht genug gedankt werden, dass er im ersten Jahr des Umbaus der Rhein-Mosel-Halle diese bemerkenswerte Konzertreihe in der Sporthalle Oberwerth ermöglichte. Andernfalls hätte die sinfonische Kultur hier einen herben Schlag erlebt

Der Wechsel im Görreshaus von Herrn Neumann zu Herrn Lefers war fast zwangsläufig und bestätigte meine und die Einschätzung vieler, dass die Doppelintendanz Ludwigshafen/Koblenz ein Unding war. Zur gleichen Zeit bröckelte auch das ebenfalls im Zuge der Orchesterstrukturreform eingeführte Konzept der Inneren Kooperation zwischen den drei rheinland-pfälzischen Staatsorchestern. Dieses Kind war einfach schon krank geboren. Ich glaube man sieht das im Ministerium inzwischen ähnlich.

Werfen wir einen Blick auf die Entwicklung, die das Koblenzer Orchester unter ihrer Ägide genommen hat. Aus Sicht des Chefdirigenten: Welches sind die markantesten Veränderungen, die erreicht worden sind?

Ganz wichtig war für mich, und das haben wir wohl auch erreicht: das Selbstbewusstsein des Orchesters hinsichtlich seiner eigenen Möglichkeiten zu stärken. Denn das habe ich selbst als Orchestermusiker gelernt: Ein Klangkörper ist genau so gut, wie er glaubt, sein zu können; egal welcher Dirigent vorne steht. Das Leistungsminimum sollte so hoch sein, dass das Orchester quasi aus sich selbst heraus dahinter nicht zurückfällt. Auf dieser Basis können Dirigent und Orchester dann in gemeinsamer Begeisterung manchen Gipfel erklimmen. Jeder Musiker kommt gern zum Dienst und arbeitet hart, wenn er weiß wofür. Es gehört zur Selbstwürde aller, dass sich keiner Nachlässigkeiten erlaubt, die das Gesamtergebnis stören. Ich glaube, das ist gelungen, wie der öffentliche Zuspruch für unsere Konzerte belegt; wie auch das Lob für manche unserer CD-Einspielungen zeigt, die sich im Umfeld der höchsten Orchesterliga behauptet haben. Dann wissen Musiker, warum sie manchmal bei den Proben unter mir haben leiden müssen.

Zudem hatten wir in den letzten Jahren einen Generationenwechsel im Orchester zu bewältigen. Es ist keine leichte Sache ältere, in vielen Jahren und mit allen Repertoirsegmenten erfahrene Musiker  mit jungen, völlig unerfahrenen Kollegen zu vereinen, die aber vor Kraft und Ungestüm sprühen. Ich glaube, auch das ist uns gut gelungen.

Nach dem Orchester nun ein Blick auf die Entwicklung des Publikums seit 2005. Es war eines ihrer erklärten Ziele, die Hörerschaft auch mit weniger bekannter Musik vertraut zu machen. Ziel aus ihrer Sicht erfüllt?

Sie als hiesiger Konzertkritiker wissen es selbst am besten: Was wir im vergangenen Jahr und jetzt an Programm auflegen, wäre vor einem Jahrzehnt ohne spürbare Besucherverluste noch unmöglich gewesen. Wir spielen – bei gleichzeitiger Pflege des klassischen Repertoires – viele ganz unbekannte Werke von bekannten Komponisten oder von solchen, die das Publikum, ja manchmal sogar das Orchester, kaum bis gar nicht kennt. Die Menschen dafür interessieren und begeistern zu können, ihre Neugierde zu wecken und etwa bei den Orchesterkonzerten im Görreshaus oder beim Musik-Institut auf ständig wachsende Offenheit für das Unbekannte zu treffen, das ist wunderbar. Ich habe aus allen Richtungen etwas angeboten; vielleicht auch mal vorbei geschossen und gemerkt, das ist noch zu früh. Oft kam aber auch von unerwarteter Seite positive Resonanz und wir merkten, die Leute sind schon weiter und offener als gedacht.

Schauen wir auf das Programm der aktuellen, ihrer letzten Spielzeit. Das ist reich an starken, anspruchsvollen Konzerten, bietet Wiederbegegnungen mit herausragenden Solisten...

Ja, die Geiger Benjamin Schmid und Vadim Gluzman kommen wieder. Ebenso der Pianist Alexei Volodin, der mit uns auch mehrere Konzerte auswärts, etwa in Mainz, Neustadt und Karlsruhe  spielen wird. Wir hätten noch mehr namhafte Solisten holen können, die ich in den vergangenen Jahren nach Koblenz gebracht hatte. Aber die Zahl der Konzerte und Möglichkeiten ist begrenzt. Bei den jetzt zum wiederholten mal engagierten Gästen verhält es sich so, dass zwischen ihnen, dem Orchester und dem Publikum in den Vorjahren doch ein sehr besonderes Verhältnis entstanden ist.

In dieser Spielzeit sind tatsächlich fantastische Sachen dabei. Einige Programmpunkte sind noch Nachholprojekte aus der Zeit, als die Bauverzögerungen bei der Rhein-Mosel-Halle manches unmöglich machten. Beispielsweise Strawinskys „Le Sacre du Printemps”, das wir für jenes Jahr geplant hatten, in dem wegen der unfertigen Halle gleich eine ganze Konzertsaison beim Musik-Institut ausfallen musste.

Im Oktober-Konzert des Musik-Instituts gibt es dann wieder ein Werk von Franz Schreker. Dazu das Violinkonzert D-Dur von Korngold und abschließend die 10. Sinfonie von Schostakowitsch.

Schreker ist so eine kleine Liebesbeziehung, die hier in Koblenz entstanden ist. Wir haben das Publikum in den letzten Jahren wiederholt mit kleineren Stücken von ihm in Berührung gebracht, können jetzt guten Mutes das opulent besetzte Nachtstück aus seiner berühmten Oper „Der ferne Klang” bringen. Korngold passt wunderbar zu Schreker, das ist diese Nach-Mahler Wiener Schule.  Das Violinkonzert wird mit Schmid als Solist höchstrangig besetzt sein, denn er ist der international herausragende Korngold-Interpret unserer Zeit. Die Brücke zur 10. Sinfonie führt ebenfalls über Mahler, weil Schostakowitsch unglaublich viel aus der Mahler-Tradition aufgenommen und weiterentwickelt hat. In dieser Sinfonie zitiert er mehrfach Mahlers Lied von der Erde.

Herr Raiskin, Schostakowitsch und Mahler waren in ihren Konzerten seit 2005 stark vertreten. Diesen beiden gilt erkennbar ihr besonderes Interesse, deren Musik vielleicht ihre größte Liebe.

Ich habe hier in Koblenz, wenn das Gedächtnis nicht täuscht, fast genauso viele Mahler- wie Schostakowitsch-Sinfonien dirigiert. Von Schostakowitsch die 5., 4., 8. und jetzt 10., von Mahler die 4., 1., 3., 5. und jetzt 7, also sogar eine mehr. Ja, sie haben recht, diese beiden sind tatsächlich meine persönlichen Säulen.

Beim Februar-Konzert des Koblenzer Musik-Instituts – Brahms' 2. Klavierkonzert und Tschaikowskis 5. Sinfonie stehen auf dem Programm – dirigieren sie einen ausländischen Klangkörper, das Philharmonische Orchester Breslau. Wie kommt das?

Wie sie wissen, war ich auch Chefdirigent des Orchesters in Lodz. Dieses Amt habe ich unlängst nach sieben Jahren aufgegeben, weil die organisatorische, personelle und finanzielle Situation dort derart unstet war, dass ich sagen musste: So kann ich nicht arbeiten. Daraufhin wandte ich mich den Breslauer Philharmonikern zu, wo ich schon einmal acht Jahre fester Gastdirigent war. Im August dirigierte ich da ein Konzert zur Eröffnung einer fantastischen neuen Konzerthalle. 2016 ist Breslau Kulturhauptstadt Europas und ich werde in diesem Rahmen mit dem hervorragenden Orchester der Stadt zwei Wochen durch Europa reisen. Eine der Stationen dabei ist Koblenz – und das Publikum kann einmal vergleichen, wie Raiskin mit einem anderen Orchester als dem heimischen klingt. Außerdem habe ich festgestellt, dass es in Koblenz eine Menge Menschen gibt, die aus Breslau stammen oder verwandtschaftlich mit dieser einst sehr bedeutenden europäischen Metropole verbunden sind. Es gibt noch eine andere hübsche Verbindung zwischen den beiden Städten: Max Bruch war dereinst hier wie dort Musikdirektor.

Und zum Abschluss ihrer letzten Saison in Koblenz dann etwas ganz Besonderes?

Ja, „Vier letzte Lieder” von Richard Strauss und die 7. Sinfonie von Gustav Mahler. Wenn ich mit russischer Musik vom Mussorgski, Tschaikowski und Strawinsky die Abschiedspielzeit beginne, sie mit Strauss und Mahler beende, dann schließt sich der Bogen. Dann verstehen die Menschen auch, worauf es mir ankam.

Beschließen möchte ich unser Gespräch mit der Frage nach ihren persönlichen Perspektiven für die nähere Zukunft. Wie geht’s mit Raiskin weiter?

(lachend) Mein Kalender ist schon bis weit ins Jahr 2017 hinein voll. Nach nun etlichen Jahren festen Engagements bei parallel zwei Orchestern, mache ich dann sehr viele Gastdirigate. Ich habe es weder eilig, mich wieder fest zu binden, noch habe ich Angst, arbeitslos zu werden. Da brauchen sie sich keine Sorgen zu machen. Lassen sie mich zum Schluss das noch sagen: Ich glaube, wir haben in diesen Jahren hier viel erreicht – eine selbstbewusste, gute, sich ihres Leistungsvermögens sichere Rheinischen Philharmonie; ein auch für Neues und Unbekanntes aufgeschlossenes und zu begeisterndes Publikum; ein demgemäß in viele Richtungen erweitertes Repertoire. Dafür bin ich dankbar.

(Die Fragen stellte Andreas Pecht)

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