Ungarisches Feuer beim letzten Anrechtskonzert 2015

Werke von Liszt, Bartók und Kodaly

ape. Koblenz. Ungarische Manier mit viel Feuer prägte das letzte Anrechtskonzert im alten Jahr beim Musik-Institut Koblenz. Auf dem Programm standen Werke dreier im 19. Jahrhundert in Ungarn geborener Komponisten. Zwei davon, Zoltán Kodály und vor allem Béla Bartók, schlugen Brücken bis in die Moderne des mittleren 20. Jahrhunderts. Mit „Prometheus” wurde zu Beginn des Abends in der Rhein-Mosel-Halle auf die Hochromantik und ihr "Wunderkind"  Franz Liszt zurückgegriffen.
         
Dessen Werk von 1850 liegt der Rheinische Philharmonie unter Daniel Raiskin. Die darin wechselnden Gefühlsextreme sind zugleich treffliches Aufwärmen für die anschließende Flut aus schnell geschnittenen Motiven und Affekten in Bartóks 2. Violinkonzert. „Prometheus” erzählt nicht den Antikenmythos nach. Liszt ging es um die Stimmungen von Kühnheit über Schmerz bis Triumph. Wieder zeitigen Geschlossenheit des Staatsorchesters im dramatischen Aufbau und pointierte Akuratesse bei den Effekten ein schönes Ergebnis. Sturmtoben mit zischendem Geblitze versus zartes Schwelgen; eine wunderbar Fuge, in der Leid und Trotz miteinander ringen; ein selbstbewusst auftrumpfendes Finale.

Es folgt mit Bartóks Violinkonzert das anspruchvollste Stück des Abends. Zwar ist es klassisch gebaut, spielen auch viele melodiöse Momente miteinander. Doch die Tonalität des Konzerts von 1938 ist eben modern, besser: klassisch-modern. Der Komponist selbst sieht im Zentrum „eine Art Zwölftonthema”, anhand dessen im ersten Satz scharfe Konflikte ausgetragen werden, die der Schlusssatz dann weniger unerbittlich wieder aufgreift.

Gespannte Aufmerksamkeit im Saal, man lässt sich von Modernität nicht mehr schrecken. Hilfreich ist das faszinierende Spiel des Sologeigers Barnabás Kelemen. Wenn schon ungarisch, dann richtig: Der sympathische Mittdreißiger ist ebenfalls Ungar. Er spielt einen kernigen, angerauhten, „männlichen” Ton, der sich aber auch zu zartester Poesie aufschwingen kann. Die mit schnellem Doppelgriff- und Oktavspiel hohen Anforderungen erfüllt er mit beseelter Virtuosität, wofür es langen Beifall gibt.

Ein sehr politisches Moment steht mit Bartóks Tanzsuite (Sz77) an. Heutiges Publikum muss sich das erlesen, es kann die Musikprovokation nicht per se erkennen. Die Suite war 1923 ein Auftragswerk zum 50. Jahrestag der Stadtvereinigung von Buda und Pest. Der „ultra-christliche-nazionale Stadtmagistrat” (Bartòk) wollte ein vaterländisches Fest feiern. Und Bartók lieferte was? Internationalistische Musik.

Mit Schwung und prächtigen Koloriten serviert die Rheinische diese Multikulti-Verwebung aus balkanischen, westlichen, arabischen und asiatischen Elementen. Angesichts der derzeitigen Entwicklung in Ungarn kann dieser Konzertteil im Verbund mit einer Aussage des Komponisten aus den 1930ern auch als aktuelles Statement verstanden werden: „Ich merke, dass die Politik Ungarns immer krummere Wege geht. (…) Ich habe keine Lust, Menschen zu treffen, alle stehen in Verdacht, Nazi-Sympathien zu hegen.”

Zum schmissig-humorigen Konzertausklang ein Schelmenstück: die Háry-János-Suite von Kodály über ein ungarisches Abenteuerepos, in dem ein Töpfer den Napoleon zur Strecke bringt. Da dürfen schmetterndes Blech, trillernde Flöten und rumorendes Schlagwerk erst in die Schlacht marschieren, nachher durch Wien paradieren. Da mischen Zimbal und Oboe mal Puszta-Melancholie, mal Ninotschka-Fröhlichkeit ins Geschehen. Da schwankt, stapft, hüpft das Orchester musikantisch zwischen Märschen, Csárdás und Walzer umeinand' – und entlässt ein schmunzelndes Publikum in die vorweihnachtliche Nacht.

Andreas Pecht

 

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