Nachdenkliches über die Zukunft des Chorlebens hierzulande

Zum 60. Geburtstag des Koblenzer Bach-Chores

ape. Koblenz. Es war ein Ereignis, das lange in Erinnerung bleiben wird. Großes Auditorium in der Koblenzer Rhein-Mosel-Halle lauschte bewegt Johannes Brahms' „Ein deutsches Requiem”, realisiert von einem großen Apparat. Der bestand aus Bach-Chor Koblenz, verstärkt durch Kammerchor Koblenz und Sängerinnen des Cosima-Chores Bad Ems, dazu die Rheinische Philharmonie. Das Ganze dirigiert von Herman Wagener, dem künstlerischen Leiter des Bach-Chores. Doch der Abend am 1. November 2015 war nicht nur ein wunderbares Konzert. Er war eine Jubiläumsfeier. Weshalb anbei Reden gehalten, Glückwünsche überbracht wurden, man nachher kräftig anstieß. Und wem galt die Feierlichkeit? Dem Koblenzer Bach-Chor höchstselbst, anlässlich seines 60. Geburtstages.

Knapp drei Wochen nach jenem Ereignis Treffen mit Ulrike Katschinski-Niemeyer, Vorsitzende des Bach-Chores. Die Jubiläumsmühen sind vorbei, die Festfreuden haben sich gesetzt: Dies scheint mir der rechte Zeitpunkt, um nicht nur über die Geschichte des Chores zu plaudern, sondern vor allem seine Gegenwart und Zukunft zu reflektieren. 75 aktive Mitglieder zählt der Chor, das ist heutzutage eine Hausnummer. „Man muss nicht gleich um den Bestand der Gemeinschaft fürchten, wenn der eine oder andere aussteigt”, sagt die Vorsitzende. Und sie fügt hinzu, dass, sollte der Chor doch mal spürbar schrumpfen, genügend Polster bliebe, sich auf andere interessante, weniger auf Opulenz angewiesene Werke zu verlegen.

Katschinksi-Niemeyer hat seit 2009 den Chorvorsitz inne, bis Januar 2018 dauert ihre jetzige Wahlperiode. Als Alt-Stimme aktives Mitglied des Bach-Chores ist sie seit 30 Jahren. Eine lange Zeit, was nicht ungewöhnlich ist in dieser Singegemeinschaft. Es gibt etliche, die sind länger dabei. Überhaupt sei „langjähriges, beständiges Mitwirken ein Merkmal dieses Chores”. Was die Frage nach dessen Altersdurchschnitt nahelegt. „55 plus” erklärt die Vorsitzende – beschreibt damit eine Situation, die sich kaum unterscheidet vom Trend, mit dem die traditionellen Chöre allerüberall zu tun haben: tendenzielle Gefährdung durch Überalterung. Von Gefährdung kann beim Bach-Chor keine Rede sein. Gleichwohl herrscht an Choristen in der ersten Lebenshälfte erkennbar Mangel, erst recht an wirklich jungen Leuten.

Für die Zuführung jüngerer Kräfte hatte Heinz Anton Höhnen von 1962 bis 2000 als Chorleiter immer wieder gesorgt. Dem Autor ist aus der eigenen Studentenzeit erinnerlich, wie Höhnen als Musikprofessor an der EWH Koblenz in seinen Seminaren mal beiläufig, mal mit Verve die Trommel rührte fürs Mitsingen im Bach-Chor. Auf ihn folgten am Dirigentenpult Manfred Faig und Joachim Aßmann. 2008 übernahm dann Herman Wagener die künstlerische Leitung (den hätten wir gerne beim Gespräch dabei gehabt, aber er lag krank darnieder).

Nachdenklich bringt Ulrike Katschinski-Niemeyer nun eine nicht nur das Chorleben absehbar umwälzende Gegenwartstendenz zur Sprache: Die Zeiten gehen zuende, da die Menschen sich über Jahre und Jahrzehnte an einen Verein, an ein und diesselbe Freizeitbeschäftigung binden. Wöchentliche Probentermine wie jetzt beim Bach-Chor; starkes Engagement für zwei Konzerte jährlich – egal was dort aufgeführt wird, man macht mit, weil man Mitglied ist: „Die Bereitschaft zu solchen festen Bindungen und Verpflichtungen nimmt heute generell rapide ab”, analysiert die Chor-Vorsitzende zutreffend. Und: „Wir dürfen nie vergessen, das Chorsingen ist eine Lust- keine Pflichtveranstaltung.” Was für die Zukunft wohl bedeute, dass an die Stelle des dauerhaft festen Mittuns mehr und mehr das Mitwirkenwollen an ausgewählten und vorübergehenden Chorprojekten treten wird.

„Streng genommen, war unser Jubiläumskonzert bereits ein solches Projekt,” meint Katschinski-Niemeyer. „Eine freiwillige Kooperation von Sängern dreier Chöre, um gemeinsam mit der Rheinischen Philharmonie das Projekt Brahms-Requiem zu realisieren.” Im Prinzip kooperativer Einzelprojekte sieht die Vorsitzende des Koblenzer Bach-Chores denn auch die Zukunft. Man möchte hinzufügen: Richtig, denn zwar nimmt die Bereitwilligkeit, einem Chor fest anzugehören stetig ab, die Lust am Singen aber allgemein durchaus zu. Diese Tendenz schlägt quasi den Bogen zurück zu den Ursprüngen des Bach-Chores. Hans Joachim Kauffmann hatte 1955 erstmal nur einige nette Menschen versammelt, die sich in ungezwungener Runde den Sangesfreuden widmeten. Eine Lustveranstaltung also, quasi Salonsingerei des Spaßes halber.

Daraus wurde mit der Zeit erst der „Madrigalchor Koblenz”, dann dank stetigem Wachstum unter Höhnen ein Oratorienchor. Dem wurde 1985 der Name „Bach-Chor Koblenz” gegeben. Was weniger eine programmatische Kennung, mehr zeitlicher Zufall war: Anno 1985 jährte sich der Geburtstag von Johann Sebastian Bach zum 300. Mal. Der Name hing sozusagen zwingend in der Luft, und wie jedem auf klassisches Repertoire fixierten Chor galt auch dem Koblenzer der Thomaskantor als Übervater ihres Metiers. Ohne Bach ist alles nichts, aber Bach ist nicht alles: Nach dieser Devise pflegt der Chor ein breites, traditionelles, anspruchsvolles  Chorkunst-Repertoire. Weshalb auch die oft gestellte Frage, warum zum 60. Geburtstag kein Bach-Werk, sondern das Brahms-Requiem, ganz pragmatisch beantwortet wird: „Weil es hier etliche Jahre nicht mehr aufgeführt worden ist.”

Hinter diesem schlichten Satz steckt eine weitere Erkenntnis, die viele Kulturveranstalter am Mittelrhein umtreibt: Das Publikumsreservoir für anspruchsvolle Veranstaltungen diverser Kunstsparten ist in Stadt und Region begrenzt. Mit Programm- und Terminüberschneidungen machen sich die diversen Akteure schnell gegenseitig unglücklich. Daher ist eines der Herzenprojekte von Katschinksi-Niemeyer der Koblenzer „Chor-Kalender” – die Chöre der Stadt stimmen miteinander Programme und Termine ab. Etwas ähnliches wird in Mainz seit längerer Zeit mit einigem Erfolg praktiziert. Die Anfänge in Koblenz sind gemacht. Die Bach-Chor-Vorsitzende möchte den Chor-Kalender stabilisieren und baldig auf die nähere Umgebung sowie andere Konzertbereiche ausdehnen. Dazu sei gutes Gelingen gewünscht.

Andreas Pecht

 

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