Ei, wer will denn da Verbote verbieten?

Monatskolumne "Quergedanken" 179

Babylons König Hammurapi I. war fast 2000 Jahre vor Christi Geburt einer der ersten, der ein Gesetzeswerk für sein Reich erließ. Gebote, Verbote, Regeln wurden, mitsamt Strafmaß bei Zuwiderhandlung, per Keilschrift in Stein gemeißelt. Etliche der darin enthaltenen Vorschriften erschienen sogar dem lieben Gott so sinnvoll für das Zusammenleben der Menschen, dass er sie nachher dem Moses in den Dekalog diktierte. Aus diesen Zehn Geboten entwickelten sich im Verbund mit Rechtsnormen keltisch-germanischer und griechisch-römischer Ursprünge unsere  Rechtssysteme späterer Epochen. Manche besser, manche schlechter, steht im Zentrum aller, auch der liberalsten, das Prinzip des Verbots.

„Erzähl die Sache mit dem Bier“, verlangt Walter. War, klar: Wenn der Freund etwas über frühe Hochkulturen behalten hat, dann sowas. Also, in Hammurapis steinernem Gesetzbuch gab es bereits ein Reinheitsgebot für Bier. Verstöße dagegen wurden brachial geahndet: Überführte Panscher waren im eigenen Biersud zu ersäufen. Das Reinheitsgebot verbot demnach, die Kunden/Konsumenten zu betrügen. Dieser Grundsatz des Betrugsverbotes, verbunden mit der  Androhung drakonischer Strafen, zieht sich durch sämtliche Reglements für Märkte in Stadt und Dorf von der Vorantike bis ins frühe 19. Jahrhundert.

Verdorbenen Fisch in der unteren Fasshälfte zu verstecken, Brot mit Sägemehl zu strecken, Wein zu verwässern, alte Klepper mit Schuhcreme zu verjüngen, minderwertige Werkzeuge aufzupolieren, Waagegewichte und Münzen zu fälschen… Dies alles und noch viel mehr war strengstens verboten.  Mit diabolischem Grinsen zählt Walter damals übliche Strafen dafür auf: „teeren und federn, auspeitschen, durchprügeln, am Dorfpranger schmachten lassen, einkerkern, das Vermögen der Betrüger einziehen, sie bisweilen gar köpfen oder an der Laterne aufhängen, aber in jedem Fall auf Jahre oder Lebenszeit vom Markt ausschließen.“

Man stelle sich vor, Betrug am Kunden, Nichteinhaltung von Werbeversprechen, Täuschung mittels Aufmotzen von Nahrungsmitteln und Gebrauchsgegenständen durch minderwertige oder schädliche Stoffe würden heutzutage ähnlich bestraft. Es erhöbe sich in Vorstandskreisen von Autoindustrie, Nahrungsmittelindustrie und etlichen anderen Industrien, in den Hochetagen von Handel, Banken und Börsen alsbald großes Weh-Geschrei.
                
Nun haben wir ja keinen Mangel an Gesetzen. Vom Grundgesetz über Strafrecht, Zivilrecht, Steuerrecht … bis hin zur Straßenverkehrsordnung regeln abertausende Vorschriften staatliche Ordnung und Zusammenleben. Vieles ist zu viel, einiges schlecht oder falsch. Wie auch immer: Basis fast aller Vorschriften sind letztlich Verbote. Selbst Rechte haben als Kehrseite das Verbot. Heißt etwa im Falle Grundgesetz: Es ist dem Staat und anderen Machtkräften verboten, die individuellen und kollektiven Grund- und Menschenrechte einzuschränken oder das Gemeinwohl zu schädigen.

„Wozu dein ganzes Salbader?“, fragt Walter. Ach, ich wollte nur mal ein paar Leute erinnern, dass Verbote das Normalste von der Welt sind und, sofern vernünftig, auch nichts Anstößiges. Wenn dieser Tage aber ausgerechnet diejenigen, die seit Jahrzehnten strammem Law-and-Order-Denken anhängen sich am lautesten als libertinäre Anarchisten aufspielen und ausschließlich ökologische wie soziale  Reglementierungsansinnen als „Verbotsfetischismus“ abkanzeln, dann ist das ziemlich scheinheilig.

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