Platzvorteil für "Schatzi"

Quergedanken Nr. 3

Wenn Sie alt genug sind, erinnern Sie sich vielleicht noch der Zeit, da das schlichte Wort „Birne“ bei Karikaturisten und Kabarettisten zu Ansehen kam. Das war kurz bevor Helmut Kohl 1982 Bundeskanzler wurde. „Schmidt Schnauze“ ging, die rheinland-pfälzische „Birne“ kam - was man damals links von der rechten Mitte irrtümlich für einen Betriebsunfall von rasch vorüber gehender Wirkung hielt. „Titanic“ und Grafiker Klaus Staeck hatten  Kohl erstmals in die Kiste mit dem dickbauchigen Früchten gesteckt. Der vermeintliche Betriebsunfall dauerte dann 16 Jahre. Schon nach vieren hatte sich „Birne“ als Instrument subversiven Lächerlichmachens verbraucht. Mehr noch: Der Uzname (von „uzen“ =  verspotten, verhöhnen) mutierte zum schieren Kosenamen. Am Ende freilich verschwand das zuvor so beliebte Obst aus dem Angebot, weil nach allzu viel Genuss erst fad schmeckend, dann von innen faulend.
 
Warum bringen wir ausgerechnet jetzt die ollen Kamellen wieder aufs Tablett? Weil die Bedeutung von Uz- oder Kosenamen für den großen Gang der Dinge gemeinhin völlig unterschätzt wird. Und weil deshalb dem Aufkommen eines solchen Namens in der ersten Politliga gerade während potenzieller Umbruchzeiten gar nicht genug Aufmerksamkeit geschenkt werden kann. Richtig, die Rede ist von ANGIE (gesprochen: Äindschiii; gemeint: Angela Merkel). Irgendein Comedian soll unlängst versucht haben, ihr die Bezeichnung „Birnchen“ anzuhängen. Da feixt natürlich der Chauvi-Stammtisch. Eine gewisse Logik erwüchse dem Begriff allenfalls aus der ehemaligen Ziehvaterrolle Kohls für das Mädchen aus dem Osten. Aber der „Birnchen“-Ballon musste platzen! Denn: Überstülpungen von außen haben kaum eine Chance, sobald sich aus den Geburtsnamen von Betroffenen selbst Uz- oder Koseformen ableiten lassen.

Bei Helmut Kohl ging halt nix. Und noch den euphorischsten „Hellmuuht, Hellmuuht“-Sprechchören haftete schon per Lautklang Schwermütigkeit an. Weshalb die Hilfskonstruktion „Birne“ obsiegte – und sich ihre Schöpfer für den ungewollten Erfolg noch heute in den Hintern beißen. Bundeskanzler Schröder hat es weder zu einem Uz- noch zu einem Kosenamen gebracht,  was sich als verheerend für ihn erweisen könnte. Und zu Gerhard fällt einem außer dem penetranten hannoveranischen „Geeerd“ auch ziemlich wenig ein. In „Joschka“ (Fischer) knarzt der Kampfname des Straßenkämpfers nach, und „Münte“ bellt zu arg, als dass außer Parteisoldaten jemand damit warm werden könnte. Womit deutlich geworden sein sollte, dass ANGIE schon von Namens wegen nicht unterschätzt werden darf. Ins Zwischenmenschliche übertragen, wären die rotgrünen Namen mit „Schatz“ vergleichbar – ziemlich nüchtern, fast neutral, gegebenenfalls mit drohendem oder forderndem Unterton. Wohingegen ANGIE herzenswarm und ungefährlich nach „Schatzi“ klingt. Das verniedlichende Endungs-i macht hier den kleinen großen Unterschied (und könnte Wahlen entscheiden).

„Maggi“ mag als Beweis herhalten. Dank dieser hübschen, auf  i endenden Koseform von Margret konnte die ehemalige britische Premierministerin Thatcher allerhand Prügel austeilen, bevor ihre Landsleute richtig spürten, wie schmerzhaft die Schläge der „eiserne Lady“ tatsächlich waren. Oder „Schumi“. Ein Kosename, der geradezu zum Synonym für Sympathie und sportlichen Erfolg wurde (dass alles mal ein Ende hat, dafür kann er ja nichts). Sie glauben noch immer nicht an den Platzvorteil, den ein Uz- oder Kosename mit Endungs-i bringen kann? Dann werfen Sie doch bitte einen Blick vor die Haustür. Will sagen: aufs kommunale Politikgeschehen im Oberzentrum Koblenz und dort auf das Phänomen „Schuwi“. Obwohl Herr Doktor Schulte-Wissermann eher hanseatische Distinguiertheit denn rheinische Frohnatur ausstrahlt, hält er sich unangefochten im Koblenzer Oberbürgermeistersessel - von Ewigkeit zu Ewigkeit.

Da mag sein Gegenspieler Michael Hörter beim herzlichen Schulterklopfen selbst Scharpings Rudi noch ausstechen: Dem swingenden, quasi von alleine auf die Zunge springenden Kosenamen „Schuwi“ hat er namentlich wenig entgegen zu setzen. Hörters Vater selig war in dieser Hinsicht mehr Glück beschieden: Ihm hatte man mit „Willi“ sogar einen echten Doppel-i-Namen in die Wiege gelegt. Der konnte beim Naturell seines Trägers gar nicht anders, als sich im mittelrheinischen Volksmund in ein uriges „unser OB Willi“ verwandeln.

Alles Unfug? Der Vorfahren Weisheit ist diesbezüglich uneindeutig. Mal heißt es „Namen sind nur Schall und Rauch“. Dann wieder „Nomen est Omen“.

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