Und willst du nicht Deutschland sein …

Quergedanken Nr. 9

Sonst durchaus geschätzte Zeitgenossen wie Uli Wickert nebst Kollegin Anne Will, Marcel Reich-Ranicki oder Harald Schmitt tönen seit 26. September gut gelaunt: „Du bist Deutschland!“ Wer? Ich? Noch mal bitte: Was soll ich sein? „Deutschland“, versichern TV-Sender und allerhand Zeitungen im Brustton tiefer Überzeugung. Seither geht es mir wie jenem bedauernswerten Helden in Franz Kafkas Erzählung „Die Verwandlung“: Als besagter  Gregor Samsa „eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheuren Ungeziefer verwandelt“ (O-Ton Kafka). Zum mannsgroßen Käfer, obendrein hilflos auf dem Rücken liegend. Der Gregor war, verständlicher Weise, ziemlich befremdet.
 
 „Du bist Deutschland!“ – ICH VERBITTE MIR DAS! Derartige Beunruhigungen fehlten gerade noch. Mein Leben ist kompliziert genug, da muss man mir nicht auch noch den ganzen Deutschland-Kladeradatsch an den Hals hängen. Dass diese Zumutung von Gestalten wie Yvonne Catterfeld, Xavier Naidoo oder Sabine Christiansen unterstützt wird, macht es keineswegs besser. Neulich, als ich noch Papst war, wollte ich Frau Christiansen missionieren, ein Schweigegelübde abzulegen. Vergebens, sie hört einfach  nicht (zu). Mal angenommen, ich wäre, wie die da behaupten, tatsächlich Deutschland. Es würde ihnen kaum gefallen: Yvonne wird wegen öffentlicher Erregung und gleichzeitigem Verstoß gegen das Folterverbot ins Kloster geschickt, Xavier wegen ruhestörender Heulsuserei mit Singeverbot belegt. Hätte was.

Andererseits: Wäre ich Deutschland, dann wäre ich auch die Post – und also total meschugge. Erst eine Filiale nach der andern schließen und möglichst viele Telefonzellen verschwinden lassen. Dann ein neues Filialnetz aufbauen und Tausende neue Telefonsäulen installieren. Wenn ich Deutschland wäre, würde ich PS-protzigen Spritschluckern der jüngsten Generation nachstieren, statt schönen Frauen Augen zu machen; würde die Hälfte meiner wachen Freizeit fernsehgucken; würde mich grämen, wäre ich nicht in allem Weltmeister; müsste mein Hirn zum Liebesnest für Angela Merkel und Gerhard Schröder (pardon: jetzt Franz Müntefering) umbauen. Ein Albtraum. Hiiiiilfeeeee! ICH WILL NICHT DEUTSCHLAND SEIN!

Geht´s nicht auch ´ne Nummer kleiner? „Du bist der Mittelrhein!“ Wer, um Himmels Willen, behauptet denn jetzt das? Nun gut, Ihr habt es so gewollt, also seht zu: Koblenz kriegt seine Straßenbahn zurück, und das Rheintal von Bingen bis Remagen eine S-Bahn verpasst. Der Koblenzer Zentralplatz wird zum Haltepunkt mit Parkanlage und Kammertheater – nebst Direktanschlüssen zur Festung Ehrenbreitstein, zur Kufa und zur Uni/Güls-Cafe Hahn. Die Abgabensätze für Handel und Gewerbe in den Innenstädten Neuwied und Koblenz werden gesenkt, in den äußeren Gewerbegebieten erhöht. Die Sitzungen aller Stadt- und Gemeinderäte sowie aller Ausschüsse (auch der bislang nichtöffentlichen) und Fraktionen werden im Internet live übertragen. Der SWR wird verpflichtet, das Lahnsteiner Blues-Festival weiter zu führen. Das Koblenzer Schloss wird beschlagnahmt und nimmt das Mittelrhein-Museum auf. Die Rhein-Mosel-Halle wird abgerissen und durch eine Multifunktionshalle ersetzt, die auch philharmonischen Ansprüchen genügt…

Hah, das gäbe ein Fest! Gestern war ich Papst, heute bin ich Deutschland, morgen die ganze Welt. An mir würde der Mittelrhein, würde die Nation, würde die Menschheit genesen.  - - -  Oder doch lieber nicht? Sie haben ja völlig Recht, der Vorschlag ist Käse. Aber bitte, zur Erinnerung: Ausgedacht haben sich das Andere, um den seinerzeit schon von Roman Herzog beschworenen „Ruck“ endlich herbei zu agitieren. Mit dem „Ruck“ ist das freilich so eine Sache, wenn im dazugehörigen „Sack“ nichts Handgreifliches drin ist. Ohne Mampf kein Kampf, sagt der Soldat; erst kommen Stullen und Eier, dann die Moral, meint Herr Brecht. Um die Eier steht´ s schlecht, weil die Hühner pandemisch vergrippt und es ihnen global an die Gurgel geht. Weshalb „Du bist Deutschland!“ ein Schmarren ist, es richtiger heißen muss  „Hühner aller Länder vereinigt Euch!“.  

 

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