Die (Pilz)Jagd ist eröffnet

Quergedanken Nr. 79

Treue Leser dieser Kolumne wissen: Bett und Schreibtisch des Autors stehen im dörflich-westerwäldischen Vorfeld von Koblenz. Dort pflegt er den Tag frühmorgens mit einem anderthalbstündigen Marsch durch den nahen Wald zu beginnen. Was so vom Arbeitstag vorne abgeht, ist hinten dranzuhängen – denn die Arbeitszeit zwecks Lebensfreude einfach zu verkürzen, würde der Kapitalismus selbst dem „Freischaffenden“ nicht straflos durchgehen lassen.

„Durch die Wälder kann man noch gehen, als gehörten sie niemand“, meint Martin Walser in seinem jüngsten Roman. Dieser Satz beschreibt mein Morgenempfinden trefflich. Zu diesem Freiheitsgefühl gesellt sich in dem von mir genutzten Waldstück das Glück, dort während der zehn Monate von November bis August kaum je einem Menschen zu begegnen. Touristiktrommler faseln von „unberührter Natur“. Was Quatsch ist, weil auch diesen Wald Jahrhunderte forstlicher Bewirtschaftung geformt haben. Aber die Marketingfuzzis würden zu gerne „diese Oase der Ruhe“ mit auswärtigen Ruhesuchern fluten.

Für September und Oktober ist ihnen das bereits gelungen. Wie? Vor einigen Jahren hat  irgendein Depp in ein Wanderbuch hineingeschrieben, dass just dieses Waldstück ein “Eldorado für Steinpilz-Sammler“ sei. Das ist maßlos übertrieben! Schon vor 30 Jahren war es selbst für einen, der die versteckten Pilzstellen hier kannte, meist recht mühsam, eine richtige Steinpilzmahlzeit für drei Personen zu ersammeln. Dennoch hat jenes Geschreibsel dazu geführt, dass nun jedes Jahr acht Herbstwochen lang in allen Waldwegen Autos von überall her stehen.

Has‘, Reh, Wildschwein und meine Wenigkeit werden dann allweil von durchs Gebüsch brechenden zweibeinigen Pilzschnüfflern erschreckt. Etliche sichtlich frustriert: Sie hatten dem gedruckten Wort geglaubt und auf leichte reiche Beute gehofft. Nun stehen sie mit nur ein paar drittklassigen Schwammerln im riesigen Korb betröppelt vor einem und gieren nach Auskunft, wo denn hier das versprochene Steinpilz-Paradies zu finden sei. Nicht erfreut, aber stets freundlich, gebe ich Auskunft.

„Liebe Leser, hier spricht Walter. Ich muss das mal präzisieren, das mit der Freundlichkeit unseres Waldschrats gegenüber Pilzsuchern von auswärts. Weil er ein ach so gutmütiger Mensch ist, gibt er in der Tat freundlichst Antwort – und schickt die Fragesteller auf stundenlange Wanderschaft in eine Richtung, wo vielleicht der Pfeffer wächst, aber nie und nimmer auch nur ein einziger Steinpilz.“ Muss ich zugeben, stimmt. Es ist aber auch gar zu arg, welche Massaker viele dieser Banausen an den Pilzpopulationen verüben, so sie welche finden. Da wird rausgerissen, leergeräumt und noch das winzigste Pilzbaby abgeschnippelt. Das hält auf Dauer kein Bestand durch.

Wenn die Herrschaften wenigsten nahe der Fundstellen ihre Pilze putzen würden. Im Wald tragen die Abfälle zur Bestandspflege bei, daheim im Mülleimer nutzen sie gar nichts. Lieber Walter: Du willst die Fischfangfabriken aus den Meeren und die Agrarindustrie von den Äckern jagen. Recht so. Aber was tun mit netten Mitmenschen, die sich sogar etwas Naturliebe erhalten haben, aber bei der Jagd nach Pilzen unbedacht doch zu Vandalen werden? Meine sanfte Wegweisung schenkt ihnen eine schöne Lebenserfahrung, resultierend aus einer herrlichen Waldwanderung mitsamt einzigartigen Ausblicken auf die bodennahe Fauna und Flora.

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