Liebe Grüße aus Urlaubien

Quergedanken Nr. 90

Eigentlich habe ich nicht die geringste Lust, jetzt diese Kolumne zu schreiben. Denn eigentlich bin ich seit drei Tagen im Urlaub. Nein, der Autor sitzt keineswegs mit Laptop vor sich in einer fernen Strandbar oder auf einer Hotelterrasse.  Nein, er stiert nicht mit dösigem Blick in die Weinkaraffe respektive dusselig versonnen den Bikinischönheiten hinterdrein. Er hockt stattdessen am gewohnten Schreibtisch – und klaubt die letzten Gedankenzuckungen zusammen, bevor das Hirn vollends und für drei Wochen in wohliger Trägheit versinkt. Dann nämlich mache ich, was man gemeinhin „Urlaub auf Balkonien“ nennt. Allerdings hat unser Haus gar keinen Balkon, nur Wiese und Büsche drumrum. Aber „Urlaub in den Büschen“ kann man schlecht sagen, klingt ein bisschen anrüchig.

Grundbedingung für so eine Art Urlaub ist: abschalten. Computer, Tele- und i-Phones, Fernsehapparate. Also jenes Abkoppeln von den beunruhigenden Strukturen der Alltagswelt, das auch zu den wichtigsten Voraussetzungen für genussreiche Auswärtsurlaube zählt. Ja, ja, jetzt glotzt Ihr wieder verständnislos. Wisst nicht (mehr), wie das gehen soll: Urlaub ohne www-Anschluss, ohne e-Posting und Facebook, ohne Dauergeplapper mit den Lieben daheim oder sonstwo, ohne TV-Zapping am Abend. Man könnt' ja verlorengehn in der Fremde, so allein mit sich selbst, den Mitreisenden und Einheimischen. Man könnt ohne Satelliten-Navigation das Kolosseum nicht mehr finden, den Eifelturm übersehen, sich am Ballermann voll verlaufen oder bei der Eifelwanderung um 30 Minuten verirren.Na und?! Ein bisschen Verlaufen ist das Salz jeder Wanderung, der Pfeffer in jeder Städtetour. Das Alltägliche abzustreifen, das ist das Wesen von Urlaub. Ob einer dabei nur faul rumliegt oder munter auf Entdeckungstour geht, spielt keine Rolle.

Freund Walter beispielsweise kurvt seit zwei Wochen mit dem Auto von einer Ecke  Deutschlands zur anderen. Das ist recht anstrengend, aber er wollte einfach mal livehaftig sehen, was so abgeht zwischen Küste und Alpen. Alle paar Tage kommt 'ne Postkarte, darauf kurz notiert: „Kleinstädte an der Nordsee haben alle Aldi, Lidl, Penny, Netto, Rewe, Kick, McDonalds.“ Bald darauf: „In allen Einkaufsstraßen ostdeutscher Städte gibt es Aldi, Lidl, Netto, Penny, Rewe, Kick, McDonalds.“ Wieder etwas später: „Da wirst narrisch, überall in Bayern  kannst einkaufen bei Aldi, Lidl, Penny, Netto, Rewe, Kick, McDonalds.“ Vorerst letzte Nachricht: „Deutschland ist ein Hammer, überall die gleichen Geschäfte, Waren, Klamotten, Einkaufszentren, oft sogar Speisekarten. Und in jeder Touristinfo die verlässliche Auskunft: Das einmalige, unverwechselbare Ambiente unserer Region....“

Feine Sache, diese Marktwirtschaft: So viel Gleichheit war noch nie. Wenn Griechenland und die anderen Sorgenkinder erstmal richtig „wettbewerbsfähig“ gemacht sind, werden wir auch dort endlich die Vielfalt vorfinden, die wir von daheim gewohnt sind. Ist mir aber im Augenblick völlig wurscht. Die Sonne scheint durchs Fenster herein, in der Ecke liegt lockend der Rucksack, im Kühlschrank Bier, im Keller Wein, auf dem Wohnzimmertisch ein dicker Stapel Bücher, auf der Wiese die Geliebte und am nahen Horizont der Mittelrhein mit allem Drum und Dran. Damit lass ich mir's nun wohlsein; mal so, mal so. Alles Übrige kann mir den Buckel runterrutschen. Herzliche Grüße aus Urlaubien. Und jetzt, sofort: abschalten!                                                     
     

(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website Woche 30/31 im Juli/August 2012)

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