30 Jahre Kammermusik für Rheinland-Pfalz

Im Gespräch mit Villa-Musica-Chef Hülsoff

ape. Vor fünf Jahren blickte ein Artikel an dieser Stelle auf ein Vierteljahrhundert „Villa Musica” zurück und würdigte die Bedeutung der Landesstiftung für die Musikkultur in Rheinland-Pfalz. Damals hatte gerade Klaus Arp die künstlerische Leitung der Institution an Alexander Hülshoff abgegeben. Über ihn hieß es im seinerzeitigen Text: „Der in der Pfalz aufgewachsene Cellist markiert eine Verjüngung der Villa Musica aus den eigenen Reihen heraus: Hülshoff war einer ihrer allerersten Stipendiaten und machte seinen Weg als gefragter Solo-Cellist, Kammermusik-Partner und Professor der Folkwang-Universität in Essen. Er wird auf dem Bisherigen aufbauend auch eine neue Handschrift einbringen wollen.” Ein halbes Jahrzehnt später bin ich mit dem heute 47-jährigen Hülshoff in Schloss Engers verabredet –  um im Gespräch zu ergründen, wie sich diese Handschrift ausgewirkt hat.

„Öffnen” heißt einer seiner zentralen Begriffe. Der fällt immer wieder: Sei es im Hinblick auf die Auswahl von Lehrpersonal und Stipendiaten für die Kammermusik-Akademie der Villa Musica, auf  Konzertprojekte oder den Umgang mit bewährte Kooperationen respektive neuen; sei es die Herangehensweise an die musikalische Arbeit selbst oder sei es die  Erweiterung der traditionellen Kammermusikpraxis in Richtung auch der Fusion mit Folk, Jazz und neuer elektronischer Musik. Denn Hülshoff ist fest davon überzeugt: „Lange in sich ruhende, geschlossene Systeme sind nicht überlebensfähig.” Weshalb er vor fünf Jahren die Zeit für reif hielt, mit dem System eines quasi festen Lehrkörpers aus im Kern den immergleichen Dozenten zu brechen. „Ich will dieses System gar nicht kritisieren, denn für eine gewisse Zeitspanne war es sinnvoll und unumgänglich”, sagt Hülshoff. Gleichwohl kam gehörige Unruhe in der Landestiftung auf, als mit seinem Amtsantritt mancher Gepflogenheit und Bindung die Schlussrunde geläutet wurde.

Villa Musica? In klassikmusikalischen Kreisen nicht nur Deutschlands ist diese jetzt 30 Jahre alte rheinland-pfälzische Institution weithin bekannt und hat einen guten Ruf. Seit Gründung 1986 haben etwa 3000 (laut Malu Dreyer) 18- bis 28-jährige Musikertalente in deren Kammermusik-Akademie Fortbildung, Förderung, künstlerische Reifung erfahren. Sie sind nachher selbst Lehrende an Musikhochschulen im In- und Ausland geworden, sind Mitglieder renommierter Orchester oder haben als Solisten in der großen Musikwelt reüssiert. Um einige aus der letztgenannten Gruppe anzuführen: Martin Stadtfeld, Nils Mönkemeyer, Viviane Hagner, Sergej Krylov, Alexander Melnikov, Isabelle Faust, Mark Bouchkov, das Schumann-Quartett. Sie alle und noch viel mehr haben als Stipendiaten der Villa Musica drei Jahre lang in drei Wochenkursen pro Jahr unter Anleitung hochkarätiger Altmeister Konzertprogramme erarbeitet – und diese dann auch zum Abschluss jeder Woche vor Publikum quer durch Rheinland-Pfalz aufgeführt.

„Kurs und Konzert”: Dieses seit jeher für die Villa Musica typische Prinzip hat auch Hülshoff beibehalten, ja intensiviert. Grob gerechnet 4500 Konzerte haben Villa-Stipendiaten über 30 Jahre an den unterschiedlichsten Spielstätten in großen Städten und kleinen bis kleinsten Orten vom Oberwesterwald bis in die Südpfalz gegeben. Bei einem permanenten Bestand von 100 Stipendiaten „gibt es das ganze Jahr über Kurse, also auch das ganze Jahr über Konzerte”, erklärt der künstlerische Leiter. Angestrebt seien 140 Auftritte pro Jahr, heuer sind es 160 – zwei bis drei je Kurs an verschiedenen Orten. 40 Spielorte weist das Konzertprogramm 2016/17 aus, 60 örtliche Mitveranstalter sind gelistet. „Auf diese Weise versorgen wir das gesamte Land mit hochwertiger Kammermusik”, so Hülshoff. Solch stetes Engagement in hoher Qualität hinterlässt Spuren, auch wenn Kammerkonzerte von Natur aus keine auffälligen Großevents sind. Welche Bedeutung für Lebensqualität und -gefühl einer Region sie tatsächlich haben, würde manch einer wohl erst begreifen, wenn es keine mehr gäbe.
 
„Herzstück der Villa Musica ist die Kammermusik-Akademie in Schloss Engers”, sagt Hülshoff. Allerdings erst seit 1995 und nach vorheriger Grundsanierung des Schlosses am Rhein bei Neuwied. Bis dahin waren die Kurse verteilt u.a. aufs Herz-Jesu-Kloster in Neustadt/Weinstraße, Kloster Machern an der Mosel, Burg Namedy bei Andernach sowie gelegentlich das Mainzer Villa-Musica-Stammhaus in einer alten Jugendstilvilla. Seit 1995 also tönen durchs 250 Jahre alte Gemäuer des kurtrierisch-fürstlichen Lustschlosses Streicher, Bläser, Sänger – musikalisch fortgeschrittene junge Menschen, die während ihrer Kurswochen dort auch zusammen leben. Aus ganz Europa hatten sich 550 für die 2016er Stipendien beworben, gut 200 waren zum Vorspiel eingeladen worden, 32 wurden schließlich angenommen.

Die Ansprüche sind hoch, denn hier geht es nicht um Grundausbildung, sondern um Spitzenförderung; Hülshoff spricht von der Villa Musica als „Kaderschmiede”. Demgemäß sucht er auch Jahr um Jahr in der weiten Musikwelt nach geeigneten und entsprechend hochkarätigen Dozenten. Nicht jeder Musiker von Rang passt da automatisch hinein. Dynamik, Energie, Neugier und kreatives Potenzial der jungen Leute zu entfalten und zu nutzen für spannende, mutige, auch neuartige Werkinterpretationen, das ist nicht jedem gegeben. „Genau das aber”, begeistert sich Hülshoff, „ist das immer wieder Faszinierende an der Arbeit mit dem Spitzennachwuchs. Die wollen was, wollen es wissen, sprühen vor Tatendrang.” Eben das spürt und genießt dann auch der Konzertbesucher: Hochklassige Frische statt Routine, Begeisterung und Wagemut statt bloßer Pflichterfüllung.

Doch wie bei allen Stiftungen, so ziehen auch am Horizont der Villa Musica dunkle Wolken auf, seit die Stiftungskapitalien kaum noch Zinserlöse erzielen. „Bis 2018 ist finanziell nocIm Gespräch mit Villa-Musica-Chef Hülsoffh alles in trockenen Tüchern”, meint Alexander Hülshoff. „Ab 2019 aber muss etwas geschehen, sonst....”. Sonst droht dem Kulturland ein kultureller Aderlass. Erinnert sei deshalb daran: Der Niedrigzins auf dem Kapitalmarkt ist politisch gewollt. Weshalb es auch politischen Willens bedarf, den daraus für die Kulturstiftungen resultierenden Existenzbedrohungen zu begegnen.

Andreas Pecht

 

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