Das geht gar nicht

Quergedanken Nr. 106

ape. Helle Aufregung am Wirtshaustisch als Freund Walter trocken in die Runde wirft: „Der NSA-Chef hat recht – das Ausspionieren von Regierungen gehört seit jeher zu den Grundaufgaben der Geheimdienste.“ Aber Ausspähen unter Freunden ginge doch gar nicht, wird ringsum Frau Merkel zugestimmt. Leute, was für ein naiver Quatsch ist das denn?! Spionage gibt es, seit es höher entwickelte Herrschaftsformen gibt. Seit mehr als 7000 Jahren also schnüffeln bezahlte Dunkelmänner und Mata Haris in Feindes- wie in Freundesland Politik, Militär, Wirtschaft aus. Stets galt dabei das Prinzip: legal, illegal, scheißegal. Seit wann hält sich James Bond an Dienstvorschriften, Bündnisverträge oder Menschenrechtscharta? Was machbar ist, wird einfach gemacht; der (selbstgesetzte) Zweck heiligt jedes Mittel.

So war's immer, unter Geiern, Krähen und Schlapphüten. Weshalb es Helmut Schmidt während seiner Kanzlerschaft nie so genau wissen wollte. Er habe sich damals überhaupt keine Geheimdienstberichte vorlegen lassen, bekannte er neulich. Die Geheimdienstler seien ihm suspekt gewesen, ihre Arbeitsergebnisse noch suspekter. Aus dem Verkehr ziehen mochte aber auch er sie nicht, trotz Zweifel an der Sinnhaftigkeit der schweineteuren Geheimapparate. Irgendwie steckt wohl in den meisten Politikern die abstruse bis wahnhafte Überzeugung, dass ein Staat ohne Spioniermaschinerie gar kein richtiger Staat sein könne.

Schon Fürst Metternich dachte so – und baute deshalb dem österreichischen Kaiser einen Geheimdienst auf, wie ihn die Welt bis dahin nicht gesehen hatte: Einerseits steckten seine Spitzel ihre Nasen in die Wäsche sämtlicher Hochwohlgeborenschaften Europas, andererseits verfolgten sie aufmüpfiges Volk bis aufs Plumpsklo. Aus dem historischen Exkurs zieht Walter den Schluss: „Also hat die jetzige Abhöraffäre ihre Wurzeln in Koblenz.“ Wie bitte??? „Ei sicher, dieser Klemens Wenzel Lothar von Metternich kam am 15. Mai 1773 am Koblenzer Münzplatz zur Welt. Der Stammvater neuzeitlicher Geheimdienstkultur ist ein am Mittelrhein sozialisierter Schängel.“ Was einmal mehr beweise, dass all jene richtig liegen, die von Koblenz als einem Schnittpunkt historischer Entwicklungslinien für Europa, ja für die Welt sprechen. Manchmal ist das Begehren nach geschichtlichem Glanz halt doch eine zweischneidige Sache.

Walter verlangt neuerdings von Stammtischbrüdern wie Freunden/innen: „Eure Handys lasst vor der Tür!“ Seit er weiß, dass staatliche und privatwirtschaftliche Schnüffler nicht nur seine Wege durchs Internet auswerten und sein Telefon ausspähen, sondern sogar ausgeschaltete Smartphones insgeheim aus der Ferne zu akustischen und optischen Wanzen umfunktionieren können, seither ist für den Freund Schluss mit digitaler Lustigkeit. „Wenn NSA, MI5, Verfassungsschutz und andere Geheimbünde wechselseitig ihre Chefs belauschen, ist das hundsgewöhnliches Politbusiness seit Ewigkeit und mir wurscht. Nun aber macht diese Bande meine Privatsphäre zum Glashaus. Das fühlt sich an, als stünden ständig fremde Leute in der Wohnung, die alles hören und mitansehen. Oder als würde man beim Stuhlgang mitten auf dem Marktplatz hocken, gar auf offener Theaterbühne Liebe machen.“ Nein, selbst Walter hat bislang nichts zu verbergen. Aber das könnte sich ändern – sollten Staatsmächte und Bigdata-Netzunternehmen ihm/uns weiter die Würde unverletzlicher Privatheit verwehren.

(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website 48. Woche im November 2013)

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