Theater / Kultur / Geschichte
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2016-07-18a Feature:

Unterwegs zu den Wurzeln
der Faust-Legende

Historischer Doctor Faustus weilte einst in Bad Kreuznach - Amateurtheater greift den Stoff auf
 
 
ape. Bad Kreuznach. Am Ellerbach zu Bad Kreuznach mühen sich Waschweiber mit der herrschaftlichen Wäsche. Zur dünnen Pausensuppe ratschen und tratschen sie, witzeln und schimpfen wie der Hunsrück- und Naheschnabel ihnen gewachsen. Gleich schwärmen sie von den Heil- und Wunderkünsten eines gelehrten Doctore. Später werden sie unter dem Schlachtruf „Faust raus!” Jagd auf selbigen machen. Wir sind zu Besuch bei einer der Schlussproben zum jüngst erst geschriebenen Theaterstück „Faust und der schwarze Abt – Duell am Ellerbach”. Ebendort wird das 1507 spielende Werk seit dem Wochenende von Amateuren aufgeführt – und verbindet Heimatgeschichte mit dem Lauf der Welt.
 


Gleich nach Romeo und Julia ist Faust seit Goethes gleichnamigen Stück von 1808 die berühmteste Bühnenfigur überhaupt. Doch die Geschichte vom Universalgelehrten, der einen Teufelspakt schließt, ist viel älter. Er geistert seit dem 16. Jahrhundert durchs Repertoire der Erzähler, Wandertheater, Moritatensänger. Goethe selbst lernte den Stoff durch ein Puppentheater kennen. Die erste schriftliche Abhandlung über den Doctor Faustus stammt vom hessischen Buchdrucker Johann Spies; die Anekdotensammlung erschien 1587. Zwei Jahre später brachte in England Christopher Marlowe eine Bühnenfassung heraus.

Von London aus kehrte die Saga auf den Kontinent zurück, auch in ihre Ursprungsregion Südwestdeutschland. Denn hier im Hessischen, Badischen, Pfälzischen und nicht zuletzt an der Nahe war der reale Faust seinem Geschäft als wandernder Wunderheiler, Astrologe, Alchemist  nachgegangen. Die beiden Autoren von „Faust und der schwarze Abt”, Jörg Staiber und Armin Peter Faust, halten es für durchaus möglich, dass die Faust-Legenden ihren Ausgang von historischen Ereignissen im Herrschaftsbereich des Ritters Franz von Sickingen (1481 - 1523) nahmen, zu dem Bad Kreuznach gehörte.

Das nun im befestigten Bett des Ellerbachs unterhalb des historischen Stadtkern spielende Stück nimmt sich allerhand Freiheit nach der Devise: So könnte es gewesen sein. Gesicherte Beweise gibt es in der Sache Faust ohnehin herzlich wenige. Doch zwei davon bilden die Basis des jetzigen Spiels: Der reale Faust hielt sich um 1507 eine Weile in Kreuznach auf; ferner sind Vorgänge um den Mönch Trithemius verbürgt, seinerzeit Abt des nahen Klosters Sponheim, dort dann abgesägt und nach Würzburg strafversetzt.

Von Trithemius stammt das umfangreichste je gefundene Schriftzeugnis über den wirklichen Faust. Allerdings handelt es sich um einen wütenden Hetzbrief gegen selbigen. Auf Grundlage dieser beiden historischen Fakten haben die Autoren für Bad Kreuznach eine Spielhandlung entwickelt, die Faust und Trithemius nach Art eines saftig-humorigen Volksstückes in direkte Konfrontation treiben. Gespielt wird auf einer reizenden Echtbühne aus drei Ebenen: Unten im Ellerbachbett, wo der kleine Nahe-Zufluss Zuschauer und Akteure voneinander trennt; darüber auf der Mauerterrasse eines Gründerzeithauses; ganz oben auf dessen Giebelbalkon.     

Wie das Landesmuseum Mainz 2015 Franz von Sickingen als „letzten Ritter” und zugleich „Schwert der Reformation” in der Rolle einer Wendemarke zwischen Mittelalter und Neuzeit sah, so stellt nun auch dieses von Theaterprofi Frank Gutjahr mit einfachsten Mitteln inszenierte Stück Trithemius und Faust als Epochen-Kontrahenten vor. Figuren und Geschehen unterscheiden sich stark von Goethes Dichtung. Zuerst noch in der Suche nach Wissen und alchimistisch-magischer Durchdringungen der Natur vereint, werden Doktor und Mönch bald erbitterte Feinde. Für Faust (Martin Zeckai) sind Forschung und Wissenschaft Aufbruch in eine neue Zeit des eigenständigen Denkens und womöglich Mittel gegen Unterdrückung und Armut. Dem Trithemius (Andreas Heipe) sind sie Instrument zur Aufrechterhaltung der alten Macht wie des eigenen Einflusses.

Der Mönch gaukelt Faust das Erscheinen Mephistos vor, lockt ihn in eine Falle, die den bis dahin in Kreuznach und bei Franz von Sickingen durchaus wohl gelittenen Doktor als Teufelsbeschwörer erscheinen lässt. Sickingen muss ihn aus politischer Räson fallen lassen; die Waschweiber geraten in Lynchstimmung – bis auf eine: das Gretchen. Zuvor die  Stillste und Frömmste, hat sie sich in den Gelehrten verliebt, empfindet zugleich dessen Ermunterung zu Bildung auch für die einfachste Frau als Befreiung. Im Gretchen-Spiel von Petra Theisen personifiziert sich am deutlichsten die Wende weg vom Mittelalter und die Hoffnung auf eine neue, gute Zeit.

Das letzte Wort in dieser jüngsten Lesart der ältesten Faust-Wurzeln hat beim Amateurtheater am Ellerbach indes Mephisto – schließlich ist es nie gekommen wie von Faust und Gretchen hier erträumt.

Andreas Pecht

Weitere Vorstellungen: 21. bis 24.7.
Info:  www.bad-kreuznach-tourist.de 


(Erstabdruck/-veröffentlichung in einem Pressemedium außerhalb dieser website am 16. Juli 2016)

                                     

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