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2016-06-28 Feature:

Dicker Fisch im Lahntal:
„Gegen den Strom”



Das zweitgrößte sommerliche Flächenfestival
im nördlichen Rheinland-Pfalz
 
 
ape. Mainz. Halbzeit bei „Gegen den Strom” 2016, dem „Festival an der Lahn”. Am 1. Mai hat es begonnen mit Wiener Liedern im Kulturkeller Nassau. Am 15. Oktober wird es enden mit einem Konzert des Deutschen Ärzteorchesters im Kurtheater Bad Ems. Unruhig, etwas missmutig, gleichwohl von wortreichem Feuer sprühend schleppt sich Diethelm Gresch bei unserem Gesprächsbesuch Ende Juni an Krücken durch sein Haus in einem Örtchen nahe der Loreley. Ausgerechnet er – der 70-jährige Spiritus rector und Organisator des seit 2012 den Sommer/Herbst in der Lahn-Region kulturell belebenden Festivals – konnte wegen einer Knieoperation noch keine der diesjährigen Veranstaltungen besuchen. Und das just im vom Kultursommer Rheinland-Pfalz ausgerufenen „Sommer unseres Vergnügens”. Es ist ein Kreutz mit den Knochen, schnaubt der Vorsitzende des Vereins Peregrini, der das Festival veranstaltet.



Weil das Faktum wenig bekannt ist, sei es hier ausdrücklich benannt: „Gegen den Strom” ist, nach dem alteingesessenen Riesen „Mosel Musikfestival”, mit 40 und mehr Veranstaltungen je Saison das größte sommerliche Flächenfestival im nördlichen Rheinland-Pfalz. Sein Kerngebiet umfasst den rheinland-pfälzischen Abschnitt des Lahntals von Diez bis Lahnstein. In diesem Jahr kommen zu einem halben Dutzend Veranstaltungsorten dort als quasi Außenspielstätten St. Goarshausen, die Loreley-Freilichtbühne sowie das Limeskastell Pohl im Taunus hinzu. Ein Budget von 140 000 Euro können Gresch und Mitstreiter fürs Gesamtprogramm ins Feld führen; resultierend aus der Unterstützung von knapp zwei Dutzend Institutionen und Unternehmen, vorneweg die Leifheit-Stiftung Nassau und der Kultursommer Rheinland-Pfalz.

In den Startjahren hatten Gresch und Peregrini das Festival im ehrenamtlichen Alleingang auf die Beine gestellt. Das lässt sich bei einem Projekt dieser Größenordnung auf Dauer kaum durchhalten. Inzwischen stehen dem Vorsitzenden zwei Assistentinnen in Teilzeit zur Seite. Obendrein wird, wie jetzt auch beim Mittelrhein Musikfestival, eine Neuordnung der Trägerstruktur angestrebt: weg vom Verein, hin zur gemeinnützigen GmbH. Und was das zehn Jahre ältere Mittelrhein Musikfestival schon hinter sich hat, das macht auch das Lahn-Festival jetzt durch: eine künstlerische Entwicklung weg von der ursprünglichen Spezialitäten-Unternehmung, hin zur bunten Crossover-Reihe.

Klassische Musik in Reinform prägte die Anfangsphase des Festivals am Mittelrhein. An der Lahn hingegen liegen die Wurzeln in einer Kombination aus religiösem, philosophischem bis zeitkritischem Diskurs und literarischer Lesung verbunden mit Musik, Tanz, Bildender Kunst. Diese Orientierung rührte von der ursprünglichen Definition des im Umfeld von Kloster Arnstein entstandenen Peregrini-Vereins als „Freunde mittelalterlichen Kloster- und Pilgerlebens”. Die Herkunft hinterlässt selbst noch unter dem Motto des Vergnügungssommers 2016 im Programm eine breite Spur von Abenden, in denen das nachdenkliche und/oder hintersinnige Wort, oft gepaart mit Musik, eine zentrale Rolle spielt. So bei „Dada und Katholizismus” (17.7.), beim Vortrag über das Verhältnis zwischen Jacques Offenbach und Richard Wagner (9.9.),bei einem Podiumsgespräch über die Tugend der Barmherzigkeit (13.9.) oder über das Verhältnis des Menschen zum Tier (28.9.). Im Oktober folgen jüdische Märchen, Dichterinnen der Romantik und noch einmal Dada.

Nicht zuletzt unter Mithilfe von Kultursommerchef Jürgen Hardeck wurde das Spektrum für  „Gegen den Strom” erweitert und das Festival auch als regionales Sammelbecken bis dahin voneinander isolierter lokaler Kulturreihen gegründet. So sind beispielsweise die Internationalen Orgelkonzerte Bad Ems oder das über viele Jahre mal mehr, oft minder glücklose Jacques-Offenbach-Festival unter das Dach das Lahntal-Festivals gezogen. In diesem Rahmen kann heuer Regisseurin Annegret Ritzel eine Rarität bieten: Deutsche Erstaufführung (!) der vergessenen Oper „Die Schäfer” von Offenbach (10.9. Bad Ems). Überhaupt nimmt neben Kleinkunst, Rezitation, Kammer-, Folk- und Vokalmusik die Opernsparte inzwischen einen bemerkenswert breiten Raum ein. Auch das ist Ergebnis der regen Netzwerkerei von Diethelm Gresch.

Der Mann kennt Gott und die Welt, und er weiß, wie man wem mit wem in Verbindung bringen muss, um zu einem ordentlichen (und  bezahlbaren) Ergebnis zu kommen. Das klappt nicht immer, wie das Schicksal des Filmmusikfestival im Rahmen des Lahntal-Festivals zeigt: Trotz interessanter Ansätze musste das technisch und finanziell aufwändige Projekt mangels Publikumsinteresse aufgeben werden. Anders im Falle Oper. Dank des Kontaktes zum in Bad Schwalbach lebenden Impressario Michael Vaccaro gibt es Bellinis Oper „Norma” im Limeskastells Pohl (3.8.), Mozarts „Zauberflöte” auf der Freilichtbühne Loreley (7.8.) und „Don Giovanni” im Kurtheater Bad Ems (1.10.).

Der Netzwerkerei ist auch zu danken, dass am 15. Oktober das Deutsche Ärzteorchester an die Lahn kommt. Dieser im Augenblick wohl stärkste deutsche Klangkörper in der alten Tradition sogenannter Dilletantenorchester im besten Sinne wird heuer, so erzählt Gresch, nach turnusgemäßem Wechsel von einem Chefarzt der Bad Emser Paracelsusklinik gemanagt. Folge: Man kam am Ort ins Gespräch und wurde sich einig. Große Pläne verbinden sich auch mit dem Kontakt zum international hoch angesehenen Pianisten und Klavierprofessor Lev Natochenny. Der in Frankfurt und New York lebende Musiker – einst prägender Lehrer von Martin Stadtfeld – konzertiert am 5. Juli mit seiner Meisterschülerin Eugene Choi in Bad Ems. Wenn es klappt, wie Gersch sich das vorstellt, soll Natochenny 2017 an der Lahn mehrtägige Meisterkurse mit jungen Hochtalenten abhalten und die Arbeitsergebnisse vor hiesigem Publikum präsentieren.

Damit würde ein alter Traum von Gresch wahr. Die Realisierung eines anderen bleibt ungewiss: Ausdehnung des Festivals auf das Lahntals quasi von der Quelle bis zur Mündung. Doch bei mehreren Landkreisen und zwei Bundesländern sind eine Menge politisch-bürokratischer Hürden zu überwinden. Leichter dürfte es werden, die angedachte Erweiterung des Programms über die Sommermonate hinaus umzusetzen.

Andreas Pecht

Infos:
>>www.festival-gegen-den-Strom.de 


(Erstabdruck/-veröffentlichung in einem Pressemedium außerhalb dieser website 26. Woche im Juni 2016)

                                     

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