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2016-06-07 Ballettkritik:

tanzmainz erzählt von der
Genese des Menschen

Uraufführung der jüngsten Choreografie "Objekt"
des Australiers Garry Stewart im Staatstheater
 
 
ape. Mainz. Die Anleihe bei Stanley Kubricks Science-Fiction-Film „2001: Odyssee im Weltraum” ist unverkennbar. Stand darin am Anfang der Evolution ein schwarzer Monolith, so ist es jetzt auf der Bühne des Staatstheaters Mainz ein von Nebel umwaberter riesiger Würfel. Waren die ersten Filmbilder mächtig begleitet von Richard Strauss' Startmotiv aus „Also sprach Zarathustra”, so ist hier die Eröffnungsszene des neuen Ballettabends „Objekt” mit kernigen Posaunen- und Kontrabassklängen unterlegt. Zur Uraufführung kommt mit der Compagnie von tanzmainz die jüngste Arbeit des australischen Choreografen Garry Stewart.



Dem nachher zur rot-schwarz gemusterten Rückwand aufgeklappten Würfel-Objekt entsteigen Tänzer in ebenso gemusterten, gesichtslosen Ganzkörperdresses. Wie die ersten Mehrzeller aus der  Ursuppe verfügen diese Wesen über kein Bewusstsein ihrer selbst. Auch sie sind bloße Objekte – ziellos in ihren Trippelbewegungen; mal ungeordnet, mal in scheinbar zufälligem Gleichmaß die ruckenden, zuckenden, schlängelnden Extremitäten in die ungeformte Welt streckend. Es ist der zentrale Ansatz der 65-minütigen Choreografie, die Entwicklungen vom seelenlosen Objekt zum empfindsamen Subjekt zu skizzieren.

Stewart verlangt der Compagnie anfangs eine Menge ausdrucksloser, maschinenhafter Bewegungsformen ab. Möglicherweise so nicht gewollt, aber doch interessant: Der sich im Tanz ausdrückende Körper mag solche Seelenlosigkeit nicht, bricht sie immer wieder in Kleinigkeiten auf. Hier ein Hüftschwung, da eine Hand- oder Fußbewegung, dort eine Kopfhaltung, die den Menschen hinter der Maske verraten. Dieses subkutane Aufbegehren verdichtet sich absichtsvoll, sobald die Wesen in ihre nächste Entwicklungsphase eintreten: Lederröcke lösen als Kostüm (Lucia Vonrhein) die Ursuppen-Camouflage ab, legen Beine, Arme, Gesichter frei.

Der Zellklumpen ist zum Menschen auf der Suche nach seinem sozialen Charakter geworden. Das Maschinenhafte des Tanzausdrucks schwindet, die Protagonisten bewegen sich tanzend in Richtung Gemeinschaft und zugleich Individualität. Der Prozess ist keineswegs spannungsfrei, denn Zusammensein und Fürsichsein harmonieren nicht automatisch: Immer wieder stehen auf der Bühne neben oder gegen akkurate Formationen sich in freier Gestaltung auslebende Trios, Duos, Soli. Der Einzelne im Netz der Gemeinschaft: Das ist hier auch ein Verstricken, Umschlingen, Zerren in Seilen.

Bedrückend sind jene Passagen, in denen der Mensch als des Menschen schlimmster Feind vorgestellt wird. Krieg, Unterdrückung, Fesselung, Folter sind angedeutet; die Verführbarkeit der Massen durch Führer wird in wildem Wogen auf Kommando vorgeführt. Dem stehen berührende Szenen der Solidarität und Fürsorge gegenüber, des einander Tragens, des umeinander Kümmerns, des willigen mühsamen Schleppens Verletzter und Versehrter. Doch ein Happy-end gibt es nicht: Zum Ende wird der letzte Vertreter der Ur-Vorläuferschaft in den sich wieder schließenden Würfel eingemauert – zurück bleibt eine Menschenart, in der alles Schöne wie Schreckliche gleichermaßen drinnesteckt.

„Objekt” ist eine schlüssige, vielgestaltige, tänzerische fein gearbeitete und von den Mainzern mit Esprit umgesetzte Choreografie; hie und da vielleicht ein bisschen sehr plakativ. Störend ist an der Produktion allerdings eines: Die von Brendan Woithe komponierte und durchaus gelungene Musik weitgehend im Techno-Grundgestus wird per Tonband in schier schmerzhafter Lautstärke eingespielt. Dies ist eine in der Ballett- wie der Schauspielszene aktuell weit verbreitete Unart – als würden die Macher der emotionalen Kraft ihrer Kunst nicht mehr trauen und deshalb aufs Überwältigungspotenzial elektronischer Klanggewalt setzen.

Andreas Pecht


Infos: >>www.staatstheater-mainz.com/


(Erstabdruck/-veröffentlichung in einem Pressemedium außerhalb dieser website am 7. Mai 2016)

                                     

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