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2016-05-27 Schauspielkritik:

Handke und Peymann sinnieren
über den Zustand der Welt

"Die Unschudligen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße" zu Gast in Wiesbaden
 
 
ape. Wiesbaden. Uraufführung war Ende Februar am Burgtheater Wien, deutsche Premiere am 1. Mai im Berliner Ensemble. Die beiden herausragenden Häuser des deutschsprachigen Theaters haben kooperiert, auf dass Claus Peymann mit und bei ihnen das jüngste Stück von Peter Handke inszeniere. Die Wiener Erstvorstellung von „Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße” war seitens der überregionalen Kritik zwiespältig aufgenommen worden. Ein vom Publikum umjubeltes Gastspiel jetzt bei den Wiesbadener Maifestspielen ermöglichte eigene Eindrücke. Und die waren alles andere als schlecht.



Eigentlich ist, was Handke da geschrieben hat, kein richtiges Bühnendrama. Eher ein Sinnieren über den Zustand der heutigen Welt, von der Herr „Ich” nur wenig hält. Mehr noch: Sie widert ihn an, mitsamt ihren viel zu vielen, viel zu lauten, viel zu schnellen und immer bei allem viel zu sehr auf Nützlichkeit erpichten Bewohnern. Aber, ach, wie gerne würde er den Mitmenschen mit freundlichem Gruße begegnen, sie in die Arme schließen – wären sie bloß nicht so, wie sie sind, sondern mehr wie er.

„Ich” der Erzähler, der zugleich „Ich, der Dramatische” ist, hat sich eine vom Verkehr vergessene Landstraße zum Refugium erwählt. Dort haust er an, in, auf einer ausrangierten Bushaltestelle: einerseits froh, dass er seine Ruhe hat, andererseits die Ankunft von Menschen ersehnend und diese doch fürchtend. Karl-Ernst Herrmanns Bühne ist bloß eine nach hinten ansteigende Schräge, darauf ein geschwungenes Lichtband als Landstraße nebst den aus dem Boden brechenden schrottigen Überresten besagter Haltestelle.

Dies ist das Reich von „Ich”, dem wunderbar verträumten, bockigen, verängstigten, erzürnten, ratlosen, fordernden, zweifelnden, bestimmenden Christopher Nell. In seiner galligen wie rechthaberischen Verlorenheit gegenüber dem Zug der Zeit unverkennbar ein Alter ego Handkes. In seiner grantigen bis verspielten Renitenz gegen die Abstrusitäten der Gegenwart unverkennbar ein Abbild Peymanns. Von hinten oben ziehen Mal um Mal die wankenden Gestalten der Moderne in dieses Reich. Das sind keine Politiker, Kapitalisten oder andere Hochmögende, sondern Normalos: Unschuldige.

Hier ein wuseliger Touristenschwarms, dessen Schnatterei sich wie lebhaftes Miteinanderplaudern anhört – bis „Ich” und wir erkennen: Es plappert nur jeder für sich mit seinem Smartphone. Dort ein Begräbniszug, den Naturgewalten durcheinander wirbeln bis ein Blitz des Priesters Monstranz explodieren lässt. Ihr habt euch von Gott abgewandt, bedauert Handke, während Peymann ihn szenisch kommentiert: Gott sei Dank, nur hat es leider nichts genutzt.

Peymann kann aus dem vollen Schöpfen und Schauspieler der ersten Liga als Fast-Statisten einsetzen. Da stimmt bei acht Nebenrollen dann auch im ärgsten Tohuwabohu jede Bewegung, jeder Blick; entstehen aus kleinen Gesten, kurzen Einwürfen Typen, gar Charaktere. Federleicht, wie selbstverständlich und teils improvisiert kommt das in Wahrheit hochpräzise Spiel der drei Hauptfiguren neben Nells „Ich” rüber. So bei Martin Schwab, der als Häuptling der Unschuldigen dem Träumer die Nutzbarmachung der Landstraße und damit Lebenssinn aufschwatzen will. So Maria Happel, die als frustrierte wie frivole Häuptlingsfrau mit herrlich quietschendem Kollerlachen ihr und der anderen blödsinniges Dasein quittiert – um einen Zappeltod zu sterben, der ebenso lachhaft ist wie bravourös.

Bleibt die „Unbekannte am Rand der Landstraße”: Das rätselhafte Wesen ist bei Regina Fritsch eine Melange aus düsterer Kassandra und lebensfroher, mädchenhafter Frau, die das „Ich” mal ermutigt, ihm mal Paroli bietet. Auf sie hat der Träumer gewartet seit jeher. Warum? Vielleicht, dass sie ihm einen Weg weise, „seine” Landstraße für sich zu retten oder für jene alle – vor der Unersättlichkeit der Unschuld? Es folgen mehrere unentschiedene Stückenden, die das Publikum wiederholt aus dem Applausansatz reißen. Schließlich doch der Vorhang zu und alle Fragen offen? Das ja, aber nach drei Stunden ebenso schlicht wirkenden wie meisterlich umgesetzten Theaters, das Hirn und Herz allerhand Beschäftigung mitgibt.            

Andreas Pecht


(Erstabdruck/-veröffentlichung in einem Pressemedium außerhalb dieser website am 27. Mai 2016)

                                     

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