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2016-05-14 Ausstellungsbesprechung:

 

Der gar nicht so verrückter
Kaiser Nero


Drei Trierer Museen vermitteln ein neues Bild
vom "Kaiser, Künstler und Tyrann"

 
ape. Trier. Für die Allgemeinheit ist er neben Julius Caesar der bekannteste Mann der römischen Antike: Nero. Anno 37 nach Christus geboren, wurde er als 17-Jähriger Kaiser des Imperium Romanum und starb nur 14 Jahre später, im Juli 68, von eigener Hand. Seine nun fast zwei Jahrtausende währende Berühmtheit verdankt Nero dem schlechtesten Leumund von allen römischen Herrschern. Er gilt als beispielloser Unhold, als irrer Tyrann,  Muttermeuchler, Gattinnenmörder, Brandstifter, Christenmassakrierer und entsetzlicher Kunstdilettant. Aber stimmt dieses Bild überhaupt, das sich die Nachwelt vom letzten Vertreter der julisch-claudischen Dynastie gemacht hat? Nein, es ist in wesentlichen Punkten schief bis falsch. Zu diesem Ergebnis kommt jetzt eine große kulturhistorische Ausstellungstrias in Trier, die sich erstmals in Westeuropa überhaupt vor breiter Öffentlichkeit um eine neue Sicht auf die Persönlichkeit hinter dem düsteren Nero-Mythos bemüht.



Wie schon zur europaweit viel beachteten Konstantin-Ausstellung 2007, haben sich in Trier Rheinisches Landesmuseum, Stadtmuseum Simeonstift und Diözesanmuseum am Dom zusammengetan, um das Phänomen Nero zeitgleich aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu beleuchten. Das Landesmuseum nimmt sich der historischen Persönlichkeit und seines Umfeldes an. Beim dortigen, 14 Stationen umfassenden Rundgang begegnet dem Besucher Nero zu Beginn in Form einer lebensgroßen marmornen Statue, die ihn als schlanken Jüngling von etwa 13 Jahren zeigt. Anmutig die Haltung, ernst und nachdenklich das Gesicht, hält er brav eine Schriftrolle in der Hand wohl als Zeichen dafür, dass es sich um einen gelehrigen und klugen Schüler handelt.

Das vom Pariser Louvre ausgeliehene Exponat ist unter den 400 originalen Ausstellungstücken eines jener seltenen und hochkarätigen, die in beträchtlicher Zahl aus Museen weltweit den Weg nach Trier genommen haben. Erstmals gezeigt werden Funde aus der vor einigen Jahren in Rom entdecken Brandschicht jener großen Feuersbrunst des Jahres 64, für die Nero dann die frühen Christen, die Nachwelt hingegen den Kaiser selbst als Brandstifter verantwortlich machten. Dass beides falsch ist, darüber herrscht in der Wissenschaft inzwischen weitgehend Einigkeit. Geborstene Gefäße und das durch Ausglühung deformierte Eisengitter eines antiken Keramikgeschäfts zeugen von der Gewalt der damaligen Feuerwalze. In der Nachbarschaft liegen gebliebene, volle Mörteltöpfe erzählen von überstürzter Flucht der Handwerker.

Gleich daneben profane Exponate, die allerdings eine der bislang wenig beachteten Seiten Neros beleuchten: antikes Löschwerkzeug und Teile von Rohrsystemen aus Blei nebst einem rohen Bleibarren aus Britannien. Der Kaiser veranlasste nach dem Brand vom Rom, dem auch sein eigener Palast und seine geliebte Kunstsammlung zum Opfer gefallen waren, einen zügigen Wiederaufbau der Stadt – unter Vorgabe strenger Bauvorschriften für Brandschutzschutz und Löschwasserversorgung. Weshalb die Bleiproduktion in der Provinz Britannien nach dem Brand förmlich explodierte. Dass Nero den Wiederaufbau auch nutzte, um sich einen neuen Palast, das goldene Haus, Domus aurea, in nie dagewesener Pracht und Größe bauen zu lassen, darf als Kehrseite gelten.

Ja, der Kaiser war – sehr zum Leidwesen seines berühmten Lehrmeisters und Beraters Seneca – ein unglaublicher Verschwender, der den römischen Staat noch viele Jahre nach seinem Ableben am Rande des Bankrotts herumtaumeln ließ. Von der Größenordnung abgesehen, unterschied sich Nero darin jedoch nicht von der dekadenten, maßlosen Luxussucht, die in der gesamten römischen Patrizierklasse seiner Zeit Usus war. Das Landesmuseum präsentiert beispielhaft dafür etwa: prächtigen Schmuck, Einrichtungsgegenstände und Tischgeschirr aus massivem Silber; ein aus Bergkristall gearbeitetes Trinkgefäß zum damaligen Preis von einer Million Sesterzen (entspricht ca. 250 000 Euro heute); Teile edelster und filigran gewirkter Bodenmosaike; den verkleinerten Nachbau von Neros achteckigem Speisesaal, über dem sich eine Kuppel als Nachtfirmament mit Sternzeichen darauf dreht.
 
Die hohen Qualitäten von Architektur und Interieur der neroischen Paläste, auf deren Gestaltung der Hausherr selbst maßgeblichen Einfluss genommen hatte, weisen zugleich auf jenen Zug in Neros Persönlichkeit, der für römische Kaiser unüblich war, ja als unstatthaft galt: seine ausgeprägte künstlerische Ader, die er auch als Dichter, Schauspieler, Sänger in aller Öffentlichkeit auslebte – zum Entsetzen seiner Standesgenossen und des Senats. Es gehörte sich für den obersten Staatsbeamten, Priester, Feldherrn einfach nicht, sich mit dem in der Sozialhierarchie ganz unten angesiedelten „Pöbel” der Bühnenzünfte gemein zu machen, seien Kunstsinn und künstlerisches Talent des Kaisers auch noch so ausgeprägt – wie Zeitgenossen Nero nachsagten.

Dessen erste fünf Amtsjahre galten in Rom als goldene Zeit. Vor allem beim Volk war der junge Kaiser ungemein beliebt. Auf seine Veranlassung geht kostenlose staatliche Grundversorgung mit Getreide zurück; kein Bürger Roms musste hungern. Nero ließ Kaufhäuser bauen und er bot dem Volk unterhaltsame Shows, wie in Trier Gladiatorenausrüstungen, Darstellungen von Wagenrennen und pompejanische Wandgemälde belegen.

Wie konnte es dann kommen, dass Nero als irrer Finsterling in die Geschichtsschreibung eingegangen ist? Gewiss, er ließ seine Mutter Agrippina ermorden, tötete zwei seiner drei Ehefrauen und eröffnete das düstere Geschichtskapitel der römischen Christenverfolgung. Im Falle Agrippina erhellt eine in Trier ausgestellte Chronologie von Münzprägungen, dass diese Frau anfangs fast als mächtiger galt denn der Kaiser selbst. Ihr diesen Status radikal zu nehmen, war für Nero politisch ebenso wichtig wie später der Umstand, dem Volk einen Sündenbock für den Brand Roms servieren zu können. Für Letzteres bot sich die noch kleine und damals als sehr obskur empfundene Sekte der Christen an; mit Religion hatte das herzlich wenig zu tun. Und innerfamiliäre Morde in Herrscherhäusern gehörten seit jeher und nachher noch bis in die Neuzeit zum verbreiteten Normalfall. Für uns mag das alles grausig sein, historisch betrachtet handelt es sich um politische Normalität.



Das negative Bild von Nero geht primär auf drei römische Geschichtsschreiber zurück, vorneweg Tacitus, die dem Kaiser nicht wohlgesonnen waren. Hinzu kommt die christliche Märtyrer-Überlieferung. Beide Linien waren auf ihre Weise parteiisch und begründeten eine Nero-Sicht, die sich als Legende vom wahnsinnigen Schlächter quer durchs Mittelalter und die Kunstgeschichte bis in die Gegenwart festsetzte. Die Schau im Landesmuseum wirft in ihrer letzten Abteilung anhand archäologischer Originalfunde auch aus jüngster Zeit einen Blick auf die Ereignisse vor allem im Rhein-Mosel-Raum während der chaotischen Jahre direkt nach Neros Ableben – Stichwort Bataver-Aufstand und letzter Kampf der Treverer gegen Rom auf einem Feld bei Riol (Hunsrück nahe Trier) sowie an der Trierischen Römerbrücke.

Derweil wendet sich das Stadtmuseum Simeonstift der Legendenbildung um Nero in den späteren Jahrhunderten und in den Künsten zu. Wen haben wir heutzutage bei Nero vor Augen? Peter Ustinov als irrer Kaiser im Spielfilm „Quo Vadis” – grandios gespielt, aber historisch falsch. Insgesamt 60 Spielfilme über und um Nero herum dokumentiert das Stadtmuseum, serienweise Romane zum Thema sowie rund 100 Opern und Schaupiele, die diesen Stoff aufgegriffen haben. Mittelalterliche Chroniken und malerische Adaptionen aus ganz Europa von Tizian-Schülern über Delacroix bis zu Gegenwartsdarstellungen etwa von Erwin Olaf zeigen auf interessanteste Weise die Entwicklung und die Beständigkeit des Nachwelt-Mythos. Nein, Nero war gewiss kein Unschuldslamm, aber verrückt war er auch nicht. Zu diesem Ergebnis kommt ein vom Landesmuseum eigens in Auftrag gegebenes psychologisches Gutachten auf Basis der Sachkenntnisse, die es über den „Kaiser, Künstler und Tyrann” gibt – der jetzt in Trier neu zu entdecken ist.

Andreas Pecht

                                         ***

Märtyrertum und Christenverfolgung
im Museum am Dom 

Für den kleinsten der drei Trierer Kooperationspartner stellt das Thema Nero eine besondere Herausforderung dar. Schließlich hat es das Diözesanmuseum am Dom bei ihm quasi mit dem „Stammvater” der Christenverfolgung zu tun, der in ihrer neroischen Phase auch die Apostel Petrus und Paulus zum Opfer gefallen sein sollen. Gleichwohl war man sich auf Seiten des Bistums rasch einig, an der Nero-Ausstellungskampagne teilzunehmen und ebenfalls einen differenzierteren Blick auf diesen römischen Kaiser zu werfen.

Dazu gehört die Feststellung des Museumsleiters, dass Nero die Christen damals nicht aus religiösen, sondern aus eigennützigen politischen Gründen verfolgte. Dazu gehört ebenso die Anmerkung, dass bei Neros Nachfolgern die Christenverfolgung ganz andere Dimensionen systematischer Ausrottungsversuche dieser Religion und ihrer Anhänger angenommen hatte. Ins Zentrum seines Beitrages zur Ausstellungstrias stellt das Diözesanmuseum denn auch die Geschichte der Christenverfolgung und des Märtyrertums von den Anfängen bei Nero bis in die traurige Gegenwart – in der unzählige Christen vielerorts weltweit sich wegen ihres Glaubens starker bis lebensbedrohlicher und auch tödlicher Anfeindungen ausgesetzt sehen. (ape)                                                                               
                                      ***
Infos:

Die Ausstellungen unter dem gemeinsamen Titel „Nero – Kaiser, Künstler und Tyrann” dauern bis 16. Oktober 2016 und sind verteilt auf drei Trierer Museen: Rheinisches Landesmuseum, Stadtmuseum Simeonstift und Museum am Dom. Alle drei Häuser haben jeweils Dienstag bis Sonntag von 10 bis 18 Uhr geöffnet (für Gruppen 9 bis 18 Uhr). Weitere Infos zu den Ausstellungen  im Internet unter >>www.nero-ausstellung.de ; Infos zu Führungen und Arrangements unter Telefon 0651/97 808 52

       
(Erstabdruck/-veröffentlichung einer kürzeren Fassung in Pressemedien außerhalb dieser website am 14. Mai 2014)

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2015-11-19 Archäologie:
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