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2016-04-25 Schauspielkritik:

Die weiße Herrschaft wird
nicht nur von Mücken zerfressen



Deutsche Erstaufführung von Lillian Hellmans letztem Stück "Puppenstube" am Staatstheater Wiesbaden
 
ape. Wiesbaden. „For Blacks only” und „For Whites only”. Schilder im Foyer weisen nach Hautfarbe separierte Eingänge zu. Das ist natürlich nicht wirklich vorgeschrieben, sondern assoziativer Hinweis, wann und wo Lillian Hellmans Stück „Puppenstube” spielt: in den USA vor Aufhebung der amtlichen Rassentrennung. Das 1959 entstandene letzte Bühnenwerk der 1984 verstorbenen US-Autorin erlebte nun im Staatstheater Wiesbaden seine Deutsche Erstaufführung. Tilo Nest hat es zu einem zweieinhalbstündigen intensiven Schauspieler-Abend inszeniert.



Breit und in düsterer Tiefe sich verlierend, lastet ein Saal aus schweren, dunkel-hölzernen Wänden unter einer ebensolchen Decke auf der Bühne (Stefan Heyne). Alter Südstaatenstil, mächtig, wuchtig, Domizil reicher weißer Familien mit allerhand farbiger Dienerschaft. Doch zumindest im Haus der Berniers sind Reichtum und Glanz längst vergangen. Durch den Fußboden aus Industriepaletten bleckt Tageslicht, vom Mobiliar sind nur zwei Dutzend jener Schaukelstühle geblieben, mit denen man dorten auf der Veranda zu sitzen pflegt.

Wie das Haus, so dessen Bewohner: die Schwestern Carrie und Anna Berniers, zwei vom Leben vergessene Jungfern. Sie würden das - infolge missratener Finanzoperationen ihres Tunichtguts von Bruder - überschuldete Anwesen gern verkaufen. Um dann was zu tun? Sich den Traum von einer Europareise erfüllen. „Nach Europa!” fleht hier zwar keine wörtlich, gleichwohl hören wir das Echo des ebenfalls nie erfüllten Sehnsuchtsrufes „nach Moskau!” aus Tschechows derzeit in Bonn zu sehenden „Drei Schwestern”. Interessant, dass hier wie dort ein Brummkreiselspielzeug zum Symbol erst wild wirbelnder, dann wackelnd vergehender Lebensträume wird.

Hellmanns „Puppenstube” wirkt 2016 etwas altbacken. Die gestrige Thematik bedürfte eines inszenatorischen Zuschnitts auf ihre heute in der Realität anzutreffenden Fortentwicklungen. Doch davon mag die Wiesbadener Regie wenig wissen. Sie konzentriert sich auf schauspielerisch und atmosphärisch treffende, dichte Umsetzung der Vorlage im darin behandelten Zeitumfeld. Unter dieser Maßgabe ist das Ergebnis allerdings ein Hingucker und allen Applaus wert, den es am Premierenabend reichlich gibt.

Carrie wird bei Sólveig Arnarstottir eine laute, aus Frust zu boshafter Überehrlichkeit neigende Frau. Ihrer Schwester Anna gibt Ulrike Arnold eine wunderbare Portion schüchterner Verstaubtheit mit. Dahinter lauert indes die Traute, sich mit dem jüngst durch krumme Tour überraschend erworbenen Reichtum des Bruders noch ein genussvolles Restleben zu gönnen. Dieser Julian Berniers ist quasi Angelpunkt im Daseins der beiden Schwestern. Carrie vergöttert ihn, begehrt ihn vergeblich auch sexuell. Anna indes quälen fürsorgliche Befürchtungen wegen der mehrfach erfahrenen leichtfertigen Naivität dieses prallen, lebens- und geldgierigen Mannsbildes.

Michael Birnbaum walzt, tanzt, schwadroniert als Julian, der in überbordender Selbstgefälligkeit vom Bankrotteur zum Neureichen avanciert ist, durch die Szenerie. Auf der Strecke bleibt dabei seine blutjunge Ehefrau Lily, deren opulente Mitgift beim letzten Bankrott draufgegangen war. Barbara Dussler spielt diese Lily famos ebenso feinsinnig wie schrill  als erbarmunbgswürdiges, verzweifeltes, nach Aufmerksamkeit, Zuneigung, Liebe flehendes Dummchen. „Ich will nicht klug sein, ich liebe!”, kreischt das an der Zuneigung des Gatten zweifelnde Mädchen ihrer Vernunft fordernden Mutter entgegen. Diese altreiche Frau hat sich einen Farbigen zum Bett- wie Lebensgefährten erwählt – und wird von Evelyn M. Faber vorgeführt mit dem Flair einer Dame, die so reich ist, dass ihr Geld nichts mehr bedeutet und rassistische Konventionen sie nicht mehr scheren.

Stumm stehen afroamerikanische Mitspieler zum Ende hin inmitten des Geschehens. Die Tragödien der Weißen können Eislieferant, Taxisfahrer, Kistenträger so wenig rühren wie die Mücken, die sich die Herrschaften den ganzen Abend aus dem Gesicht zu wedeln versuchen. Schließlich gehen die Farbigen in stoischem Gleichmut ab, während die Weißen unter (fiktiven) Mückenschwärmen zappeln. Will sagen: Onkel Tom dient nicht mehr. Gut so.

Andreas Pecht

Infos: >> www.staatstheater-wiesbaden.de/


(Erstabdruck/-veröffentlichung in einem Pressemedium außerhalb dieser website am 25. April 2016)


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