Kritiken Theater
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2016-04-18 Ballettkritik:

Wechselbad aus hochklassig
und belanglos



Neue Tanzproduktion "Mozart, Una fantasia" am Theater Koblenz
 
 
ape. Koblenz. „Mozart. Una fantasia”. Eine Tanz-Fantasie über Mozart und/oder von dessen Musik  inspiriert. Die neue Ballettproduktion von Steffen Fuchs am Theater Koblenz ist eine zwiespältige Sache. Nicht nur hinsichtlich der Gefühle, Themen, Zuschauerblickwinkel. Die 120 Minuten sind ein Wechselbad auch bei den Leistungen. Das Spektrum der auf 14 Mozart-Stücke verteilten Tanznummern reicht von Hochklassigkeit bis Belanglosigkeit. Wir sehen die hiesige Ballettsparte noch immer im Generationen- und Stilumbruch, dürfen aber vermehrt bemerkenswerte Fortschritte attestieren.

Dass im Ballett eine Opernprimadonna die solistische Hauptrolle spielt, ist ungewöhnlich. Sopranistin Hana Lee webt mit vertrauter Kunstfertigkeit vier Mozart'sche Arien ins tänzerische Geschehen, erntet dafür Beifall zuhauf. Verdient, denn die launige Souveränität Lees nicht zuletzt im Umgang mit dem kiebigen Spiel des Wolfgang Amadeus in den Extremlagen ist ohrenfällig. Ähnliches gilt für die Musiker der Rheinischen Philharmonie unter Hiroaki Masuda: Zwar nicht immer optimal sauber, schwingt sich da eine vitale Mozartpraxis aus dem Graben, die des Meisters Ambivalenz aus Tiefe und Keckheit ausgezeichnet umsetzt.

Kommen wir zur Choreografie selbst. Ob es recht ist, in der 6. Szene zur Arie „Popoli di Tessaglia” die Compagnie auf tanzlose Staffage für die Sängerin zu reduzieren, sei dahingestellt. Dass die 13. Szene zur Maurischen Trauermusik als große Formation mit Unübersichtlichkeit und betulichem Sitztanz der schwächste Moment des Abends ist, sei indes klar reklamiert. Dass sich bei den Tänzern im ersten Premierenteil Fehlerchen häuften, sei nur am Rande vermerkt. Denn wichtiger ist etwas anderes, das vor allem die Damen des Ensembles betrifft, sogar die jüngsten Neuzugänge: Koblenz stößt zur starken, selbstbewussten Weiblichkeit vor – was zwingend zusammenhängt mit erkennbarem Vordringen vom technischen, äußerlichen Ausdruck zu dessen Beseelung.



Dieser Fortschritt findet prima Unterstützung durch die Kostüme von Julia Reindell. Mal sind es viel Haut freilegende schwarz-goldene Dresses, mal halbtransparente Überkleidchen. Nirgends verhüllende Camouflage – abgesehen von der teils augenzwinkernd überspitzten Kostümierung Lees als Königin der Nacht oder pralle Mozartkugel. Ansonsten gilt: Körperlichkeit ist das Wesen des Balletts. Also sehen wir Körper, die im Tanz aus sich heraus sprechen, fühlen, meinen, hoffen, begehren, fordern oder auch witzeln, ohne balletthistotische Pantomimik bemühen zu müssen. Das ist eine gute Entwicklung, die die Koblenzer Damen an eine der wichtigsten Komponenten des zeitgenössischen Balletts heranführt: Befreiung der Tänzerinnen von der Funktion bloß schöner und schutzbedürftiger Weiblichkeit.

Bei den Männern ist die Sache schwieriger. Ihren Kolleginnen sind sie zwar verlässliche Stützer, Dreher, Heber, doch hängen sie allzu fest am Manierismus des klassischen Männerausdrucks. Da kommt im Zusammenwirken mit den Frauen nur selten etwas unverkünstelt oder bedeutsam rüber. Dass indes auch in der Männerriege Potenziale schlummern, verdeutlichen einige Einzelleistungen. So Emmerich Schmollgruber im großartigen Pas de Deux mit Kaho Kishinami. Die Szene löst sich teils vom neoklassischen Eleganzzwang und verleiht den Verkrümmungen, Schwebemomenten, Unwägbarkeiten der Zweisamkeit auf beiden Positionen berührenden Ausdruck.

Das langjährige Compagniemitglied Rory Stead ist ein Sonderfall. Er liefert erwartungsgemäß ein starkes Solo als sich ständig am Hintern kratzender Mozart, der zugleich mit diesem Tick und anderen Zumutungen seines Lebens permanent ringt. Was aber wirklich gehen kann mit dieser Truppe, skizziert die eingeschobene hochklassig temporeiche und figurendichte Choreografie von Fuchs' Studienkollege Andreas Heise zur Arie „Vorrei spiegarvi, oh Dio!”. Am vorderen Rand der im Laufe des Abends die Raumtiefen variierenden, stimmungsvollen Rahmen-Kulisse von Dorit Lievenbrück singt Lee. Als ihr tänzerisches Alter ego formt Chiho Kawabata wunderbar eine wie in fast völlig freiem Tanzausdruck sich ergehende Frau. Derweil entfesseln im Hintergrund Pierre Doncq und Arkandiusz Glebocki ein Männer-Pas-de-Deux wie man es in solcher Schwierigkeit und Intensität auf dieser Bühne lange nicht sah.

Den Rausschmeißer macht Mozarts frivol-deftiges „Bona Nox”, gesungen von der Compagnie – nicht schön, aber dem Charakter dieses Spottkanons angemessen. Kräftiger Premierenapplaus unterstreicht: Zu sehen und zu hören gibt es allerhand, in diesem Wechselbad.                  

Andreas Pecht


Infos: >>www.theater-koblenz.de/


(Erstabdruck/-veröffentlichung in einem Pressemedium außerhalb dieser website am 18. April 2016)


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