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2016-03-14 Schauspielkritik:

Antikes Urtrauma ist Ausgangspunkt der verwobenen Tragödien


Theater Koblenz spielt "Die Troerinnen/Orestie" von Euripides, Sophokles, Aischylos und John von Düffel
 
ape. Koblenz. Am Anfang war der Krieg. Ausgefochten um Troja, Helenas wegen, der schönen. Der verderbten auch, so sie dem Griechengatten Menealos ins Bett des Trojers Paris entfloh. Da sammelte Agamemnon Griechenlands Helden alle, segelte auf 1000 Schiffen 'gen Troja, mit Blut zu tilgen die Schmach des Bruders. Zehn Jahre wogte der Kampf vor den Mauern, bis Odysseus sie mit List überwand. Nun hob ein Schlachten und Klagen an, aus dem jener Rachedurst entsprang, der sich vererbt von den Verlierern auf die Sieger, wieder auf die Verlierer und beider Nachgeborene. Der Hass lässt Geschwister und Gatten einander meucheln, Kinder die Eltern erschlagen, Völker verbluten – von Zeitalter zu Zeitalter.



Am Anfang war der trojanische Krieg, das Urtrauma der griechischen Antike, von dem Homer in der „Ilias” erzählt. Jeder Grieche kannte die Saga, und die Dramatiker konnten an der Wiege des europäischen Theaters für ihre Stücke über die Kriegsfolgen auf diese Kenntnis bauen. Nicht so unsereins heutzutage. Wer da in welcher auf Homer aufbauenden Tragödie warum, wann, wen verflucht, verstößt, blendet, tötet und neue Erbfeindschaft sät: Es ist kompliziert, weil stets alles mit allem zusammenhängt. Dramatiker John von Düffel und Intendant Markus Dietze haben nun am Theater Koblenz den Versuch unternommen, Klarheit in den zentralen Bereich des alten Mythos zu bringen.

Sie haben sich dafür nicht etwa der Atriden-Tetralogie von Gerhard Hauptmann bedient, sondern Teile aus vier Stücken von Euripides, Sophokles und Aischylos bearbeitet, verwoben und unter dem Titel „Die Troerinnen/Orestie” als neues Werk auf die Bühne gebracht. Der Versuch ist gelungen: Drei Stunden dauert der berückende Abend, der anhebt mit dem Wehklagen der Troerinnen über die Zerstörung ihrer Heimat und die Ungewissheit ihres Schicksals als Kriegsbeute der Griechen. Er endet mit dem Todesurteil der Gerichtsversammlung von Argos über des Agamemnon Kinder Elektra und Orest als Strafe für den Mord an ihrer Mutter Klytemnestra und ihres Stiefvaters.

Dorit Lievenbrück hat für Dietzes Inszenierung eine ebenso sinnfällige wie faszinierende Bühne mit zwei Spielorten gebaut. Vorne ein geschlossener bühnenbreiter Raum in der Optik grau-schwarzen Granitgrabsteins. Dies ist Troja, verbrannte Stadt und Totengruft zugleich. Wechselt das Geschehen nach Argos, in die Stadt der griechischen Sieger, verschwindet deren Rückseite und ins Zentrum drängt eine gigantische Winkelwand als sei's ein Schiffsbug aus rotrostigem Stahl – die Großmacht gestrandet im eigenen Sieg und nun verrottend daran.



Klar und streng in der Form folgt die Bühne antikem Vorbild, während die Kostüme (Bernhard Hülfenhaus) gegenwärtig sind: die Troerinnen so abgerissen wie jetzt die Flüchtlinge vor europäischem Stacheldraht; die Sieger in gehobener Wohlstandsmode. Die Differenz zwischen Bühne und Kostümen umreißt das Spannungsgefüge, in dem sich das moderne Theater bei der Verarbeitung antiker Stücke bewegt, und woran es nicht selten scheitert: Die Werke brauchen zum Atmen den antiken Gestus in Sprache und Spiel, sollen aber heutigem Publikum etwas geben.

Dass Düffel, Dietze und das nur sieben Mimen umfassende Ensemble textlich, inszenatorisch und schauspielerisch die rechte Balance zwischen beiden Anforderungen gefunden haben, macht die  Produktion vor allem im ersten Teil zu einem herausragenden Schauspielereignis. Ob chorisches,  dialogisches, monologisches Sprechen: Die tragende Kraft der Worte wird klar entfaltet. Glühender Hass, nagender Zweifel oder Jammer des Elends treten zumeist in feinen Abstufungen, genau gesetzten Gesten und Gängen zutage. Einmal mehr zeigt sich, dass Reduziertheit die Mutter der Intensität ist.

Während Jona Mues fabelhaft nur eine Person entwickelt, den im Wahnsinn endenden Stiefvater- und Muttermörder Orest, wechseln seine Mitspieler teils mehrfach die Figuren. Georgia Lautner spielt schön zurückgenommen zwei unschuldige, zarte, naive Mädchen. Marcel Hoffmann gibt sowohl den weichen Aigisthos wie den erneut Helena verfallenden Menelaos. Quasi leitmotivisches Kernstück der Inszenierung aber ist die Besetzung der zentralen Frauenrollen mit den immer gleichen Schauspielerinnen.

Raphaela Crossey gibt nacheinander Hekabe, Klytaimnestra und die nach Griechenland zurückkehrende Helena. Drei Königsgattinnen, die auf unterschiedliche Weise Geschichte beeinflussen wollen, doch zwischen Frausein und Macht zugrunde gehen. Jana Gwosdeck schlüpft in die Rollen der beiden aufrührerischen, keiner Normen gehorchenden jungen Frauen: Zuerst freut sie sich trotz des Entsetzens ihrer trojanischen Geschlechtsgenossinnen als Kassandra-Göre, dass Agamemnon sie zur Geliebten haben will; dann versprüht sie als Elektra einen auch die kleinste Geste und das letzte Wort vergiftenden Hass auf ihre Mutter Klytaimnestra, deren Mord am Vater Agamemnon sie nicht vergeben kann und will.

Da werden reihum dichte, eindringliche, in wunderbarer Reduktion ziselierte Leistungen geboten – bis nach der Pause plötzlich eine völlig veränderte Spielweise heranwächst. Der Unterschied ist so gravierend, dass er Absicht sein muss. Elektra fläzt sich in den Sessel, als spiele sie in einem Stück von David Mamet. Helena schnurrt und intrigiert wie in einer Wohnzimmersatire von Yasmina Reza. Orest erntet mit fast comedyhaft angekündigtem Mordgeschäft Lacher. Und obendrein bestimmt bald Toben den Ton, als werde Edward Albees „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?” aufgeführt. Warum das? Unsere Theorie: Um die Geschichte zu befreien von der göttlichen Schicksalhaftigkeit. Derart legt die Inszenierung die Verantwortung für alle Untaten zurück in die Hände des (modernen) Menschen.            

Andreas Pecht


Infos: >>www.theater-koblenz.de/


(Erstabdruck/-veröffentlichung als leicht gekürzte Fassung in einem Pressemedium außerhalb dieser website am 14. März 2016)


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