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2016-03-02 Schauspielkritik:

Kampf der Kulturen im Wohnzimmer


Ayad Akthars Stück "Geächtet" bietet am Staatstheater Wiesbaden Stoff zum Nachdenken
 
ape. Wiesbaden. Die Konstellation ist seit Edward Albees „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?” von 1962 klassisch, seit Yasmina Rezas „Der Gott des Gemetzels” von 2006 als leichte, satirisch gefärbte Gesellschaftstragödie auch im gehobenen Boulevard-Segment heimisch. Zwei gutbürgerliche Paare treffen sich zur Wohnzimmerplauderei, während derer jedoch unter der Oberfläche lauernde Ressentiments, Ängste, Abneigungen aufbrechen. Die Geselligkeit eskaliert zum Stubenkrieg. So auch in „Geächtet”, einem 2013 mit dem Pulitzerpreis ausgezeichneten Erstling des pakistanisch-amerikanischen Autors Ayad Akhtar (45).



Im Kleinen Haus des Wiesbadener Staatstheaters sind dafür auf die Hinterbühne zusätzliche Zuschauerränge montiert. Die mit weißer Couch-Garnitur und modernem Esstisch-Ensemble bestückte Spielfläche liegt also zwischen zweigeteiltem Publikum. Von welcher Seite man auch aufs Geschehen schaut: Im Hintergrund sitzen immer Leute, sitzen wir. Das ist ein beliebter Kniff des zeitgenössischen Theaters, der sagen will: Was hier zu sehen ist, geschieht mitten unter uns, gehört zu unserem Leben, Denken, Fühlen.

„Geächtet” ist ein Konversationsstück, angesiedelt in der Sphäre us-amerikanischer Oberschicht; dort, wo Karriere- und Wohlstandsstreben scheinbar alle übrigen individuellen Eigenschaften bedeutungslos werden lässt. Da ist einerseits das Ehepaar Amir und Emily (Stefan Graf, Janina Schauer). Er Rechtsanwalt pakistanischer Herkunft und um der Karriere willen sich selbst krampfhaft säkularisierender Muslim. Sie weiße Amerikanerin mit malkünstlerischen Allüren und fasziniert von der islamischen Ornamentik. Zum Essen eingeladen ist das Paar Isaac und Jory (Ulrich Rechenbach, Sithembile Menck). Er Jude und Galerist, sie Afroamerikanerin und Kanzleikollegin von Amir.

Es sind fats alle potenziellen Bruchlinien – außer der sozialen Frage – ins Stück gepackt, die das heutige Amerika zu bieten hat. Das macht den von Bernd Mottl weitgehend konventionell und quasi-realistisch inszenierten 100-minütigen Abend zwar arg vorhersehbar, gleichwohl herrscht gespannte Aufmerksamkeit im Saal und gibt es abschließend reichlich Applaus. Denn „Geächtet” trifft den Nerv unserer um die Integrationsfrage streitenden Tage, ist, trotz mancher von Akhtar bemühter Plattitüde, von einiger Brisanz.

Im Grunde versucht das Stück zu zeigen, dass Menschen religiös-kulturelle Prägungen letztlich kaum loswerden, mögen sie auch noch so sehr nach Anpassung trachten. Dies umso mehr, wenn die Mehrheitsgesellschaft ihr Herkommen wieder und wieder gegen sie verwendet.
Auf der Bühne geraten Amir und Emily quasi seitenverkehrt über den Islam aneinander. Zwischen dem unwilligen Muslim und dem Juden brechen die alten Feindschaften auf, nachdem Amir bekennt, die 9/11-Anschläge einerseits für abscheulich zu halten, andererseits er aber wider Willen auch eine Spur klammheimlicher Freude darüber empfinde. Die Afroamerikanerin vedrängt den muslimischen Kollegen aus der Kanzlei. Obendrein schläft die Künstlerin mit dem Galeristen, was bei ihrem Gatten zum ehemännlicher Ausbruch von Brutalität gegen sie führt.

Am Ende scheint das US-Gesellschaftsmodell des multikulturellen Schmelztiegels völlig zertrümmert. Doch ganz so einfach macht es einem die Inszenierung nicht. Per Comic-Videos werden Bilder von politischer, militärischer, terroristischer Aufrüstung und Untat auf allen Seiten seit 9/11 eingeblendet. Und wo die vier Protagonisten nicht aufeinander losgehen, ergehen sie sich in bis zur Lächerlichkeit ausgebauten Manierismen eines oberflächlichen Wohlstandsgetues. Im Großen die Neigung zum selbstgerechten Absolutheitsanspruch der Kulturen, im Kleinen das blinde Kleben am verlogenen Karriereglück als Lebenssinn: das zerstört schließlich beide Paare – und treibt Amirs rappenden Neffen (Conrad Ahrens) in den Dschihad. Reichlich Stoff zum Nachdenken.

Andreas Pecht


Infos: >> www.staatstheater-wiesbaden.de/


(Erstabdruck/-veröffentlichung in einem Pressemedium außerhalb dieser website am 01. März 2016)


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