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2016-02-15 Schauspielkritik:

Kontroverses zum vermeintlichen
Krieg der Kulturen



Theater Bonn verbindet in "Nathan" Lessings Stück mit der Lebenswirklichkeit muslimischer Jugendlicher
 
ape. Bonn/Bad Godesberg. Es ist wieder mal hohe Zeit, Lessings „Nathan der Weise” als Intervention des Theaters in den Gang der politisch-gesellschaftlichen Dinge und Meinungen auf die Bühne zu bringen. Wo religiös grundierte Vorurteile gegen „die anderen” Platz greifen, mahnt der Klassiker absoluten Vorrang für Vernunft und Menschlichkeit an. Nach einer eher konventionellen Inszenierung von K.D. Schmidt unlängst in Mainz, stellt Volker Lösch nun im großen  Godesberger Schauspielhaus des Theaters Bonn ein ebenso ungewöhnliches wie nachdenklich stimmendes „Nathan”-Projekt „nach Lessing” auf die Bühne.


Standing Ovations am Ende eines zweistündigen Abends, der vom Originalwerk wenig lässt: Das hat man selten. Der Beifall ist auch als politische Kundgebung zu verstehen. Er gilt einer Inszenierung, die Kernelemente von Lessings Stück konfrontiert mit Haltungen, Erfahrungen, Lebenswirklichkeit von muslimischen Jugendlichen der ersten, zweiten und dritten Migrationsgeneration in Deutschland. Der Applaus gilt dem Bemühen, aktuell ausgreifender Neigung zu blinder bis blindwütiger Pauschalisierung mit einem Wesenselement zivilisatorischer und kultureller Reife entgegenzutreten:  vernünftiger Differenzierung.

Die Bühne von Cary Gayler besteht anfangs aus einem Klassenzimmer, in dem ein liberaler Lehrer als quasi Archetyp eines sogenannten „Gutmenschen” Samuel Huntingtons "Krieg der Kulturen" erläutert – um sogleich mit Immanuel Kants „Sapere aude!” und Lessings religionskritischer Toleranzforderung dagegen zu halten. Seine Klasse besteht aus besagten Jugendlichen, zwölf sind es; Laiendarsteller, die auf der Bühne spielen, was sie auch im wirklichen Leben sind: Deutsche mit muslimischem und Migrationshintergrund. Mädchen in Rock oder Jeans mit und ohne Kopftuch, Jungs mit und ohne Bärte; Kinder oder Enkel von Flüchtlingen aus dem Nahen und Mittleren Osten oder vom Balkan.

Mit Getöse bricht das Klassenzimmer bald entzwei, aufgespalten von einer kleine gelbe Spielfläche: Symbol für die gelben Textheftchen von Reclam, mit denen die Klassiker gewöhnlich in die Schulen kommen. Auf dieser Fläche spielt nun ein sechsköpfiges Profiensemble Teile aus „Nathan der Weise”, unterbrochen immer wieder von Szenenwechseln hin zur zuschauenden Schulklasse. Zwischen Schülern und Lehrer entspinnen sich mannigfache Kontroversen hinsichtlich der Deutung Lessings, mehr noch seiner Bedeutung oder bisweilen auch Bedeutungslosigkeit für die Lebensverhältnisse dieser Jugendlichen.

Völker Lösch, der zuletzt am Staatsschauspiel Dresden mit seiner Antipegida-Inzernierung „Graf Öderland / Wir sind das Volk” für Aufsehen sorgte, macht sich die Sache in Bonn nicht leicht. Es werden nicht einfach blendend integrierte, also nach verbreitetem Verständnis völlig verwestlichte und dem Islam abholde junge Leute vorgestellt. Es werden auch nicht bloß Diskriminierung, Chancenungleichheit und hohe Arbeitlosigkeit in sozialen Brennpunkten thematisiert.

In beeindruckend akkuratem, inhaltlich und emotional pointiertem Chorsprech stellen die „Schüler” individuelle, aber eben doch tausendfach sich wiederholende Herkunfts- und Gegenwartsschicksale vor. Geben zugleich Einblicke in Zerrissenheit zwischen ihren modernen Lebensart-Wünschen auch als Muslime und ehernen Traditionsverhaftungen ihrer Eltern. Frauenunterdrückung, Homophobie, Antisemitismus unter Muslimen werden so wenig ausgespart wie radikalislamistische Stimmen und IS-Terror.

Doch wenn der Lehrer in westlich-liberaler Selbstgerechtigkeit darauf herumhackt, fallen ihm die Jugendlichen in die Parade mit Verweisen auf das millionenfache Töten, das vom US-Drohnenkrieg in Wasiristan heute bis zum Holocaust gestern vom Abendland verübt wurde. Und Lessing fällt ihm ebenfalls in den Arm: Der Tempelritter in Nato-Kriegsuniform war bis eben ein christlicher Schlächter und der Bischof von Jerusalem kreischt „der Jud muss brennen!”. Der Stücktext von 1778 sowie die aus Gesprächen und Vorort-Recherchen abgeleiteten Texte des Rahmenspiels verbinden sich zu etwas Neuem, das auf erschreckend aktuelle Weise, die Lehren der Ringparabel als noch immer nicht erfüllt vorführt: Es gibt keine richtigen und falschen Religionen, es gibt nur Recht und Unrecht, Menschlichkeit und Unmenschlichkeit.

In diesem Sinne endet das „Nathan”-Projekt mit der berechtigten kollektiven Klage der Jugendlichen darüber, dass man sie pauschal mit Terroristen und Grabschern in einen Topf wirft. Dass man sie ängstlich bis hasserfüllt mit Leuten zu einem „Wir” macht, mit denen sie nichts zu tun haben. Es ist nicht die höchste Schauspielkunst, die da in Bonn aufgefahren wird. Aber es ist ein theatralisches Statement von einigem Gewicht, das man unbedingt anschauen und diskutieren sollte.               

Andreas Pecht


Infos: >>www.theater-bonn.de/


(Erstabdruck/-veröffentlichung in einem Pressemedium außerhalb dieser website am 15. Februar 2016)


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