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2016-02-07a Feature:

 

Bühnenkunst gegen
Fremdenhass und Krieg

Engagierte Stücke allenthalben - Staatstheater Mainz legte mit drei Premieren und einer Protestaktion vor

 
ape. Es scheint, als hätten viele Theatermacher 2014 bei den Planungen fürs Folgejahr gespürt, dass der Gang der politisch-gesellschaftlichen Dinge bald nach Reaktionen auf der Bühne geradezu schreien würde. Allenthalben hatten sie damals Stücke auf die Spielpläne für die Saison 2015/16 gesetzt, die zu den jetzigen Premieren wirken, als seien sie für die aktuelle Lage gemacht. Das Theater Bonn bringt kommende Woche ein „Nathan”-Projekt heraus, das Lessings religionskritischen Aufklärungsklassiker mit Texten von Muslimen anreichert. Das Staatstheater Wiesbaden zeigt nach Brechts Antikriegsklassiker "Mutter Courage und ihre Kinder" ab 28. Februar das Schauspiel „Geächtet” von Ayad Akhtar. Darin brechen zwischen befreundeten modernen Christen, Muslimen und Juden verdrängter Alltagsrassismus und geheucheltes Gutmenschentum auf.



Dank wacher Sinne für gesellschaftliche Entwicklungen und dem Willen, sich als Theater in diese einzumischen, konnte das Staatstheater Mainz schon in der ersten Spielzeithälfte mit gleich drei Stücken Position beziehen. Obendrein machte es bundesweit Schlagzeilen mit einer knuffigen Aktion, die seither manchen Nachahmer findet: Gut 120 Mitarbeiter aller Sparten hatten im Foyer bei offenen Fenstern Beethovens Ode an die Freude „geprobt”. Dadurch fühlten sich die Teilnehmer einer zeitgleichen Kundgebung der AfD auf dem Vorplatz erheblich gestört. Der noch seiner gerichtlichen Bewertung harrende Vorwurf, dies sei seitens des Theaters beabsichtigt gewesen, wird von selbigem keineswegs bestritten.

Auf der Bühne setzten die Mainzer mit zwei Premieren an einem Wochenende deutliche Signale. Zum einen Lessings „Nathan der Weise”, jenes Stück von 1778, das ganz aus sich selbst heraus stets aufs Neue Aktualität gewinnt, wenn irgendwo Streit auflodert, welches die beste der Religionen sei. Das war zuletzt so beim Kruzifix-Disput, beim Kopftuch-Streit, bei der Leitkultur-Debatte. Das ist jetzt umso mehr der Fall, da das uralte Monstrum des Religionskrieges wieder erwacht ist. K.D. Schmidt hat den Klassiker ohne aktualisierende Hinzufügung zeitlos inszeniert – und ihm so die aufklärerische Ursprungskraft gelassen, den Vorrang des Menschlichen vor jedweder Religion einzufordern.

Murat Yeginer gibt eine starke Titelpartie, weil er ihre Weisheit aus dem Wechselspiel leisen Humors und gleichzeitiger Ängstlichkeit vor den Fallstricken im religiös umkämpften Jerusalem der Kreuzritterzeit herleitet. Der Mainzer Nathan ist ein Kleiner Mann, der um die Zufälligkeit seines jüdischen Herkommens ebenso weiß wie um die Zufälligkeit aller religiösen und ethnischen Geburtszuweisungen. Das Bühnenbild überbrückt die Zeitalter bis ins Heute. Es besteht einzig aus einem Bodenbelag von Plastersteinen. Die sind in der Mitte zur sauberen Fläche gesetzt, auf der sich zum Stückende die verständigen Angehörigen diverser Religionen zur Menschenfamilie vereinen. Nach außen hin aber wird die Fläche zur stolpersteinigen Wüstenei und symbolisch zur Waffenkammer für die nachgeboren Verblendeten – die einander nicht nur mit Steinen die Köpfe einschlagen.

Die zweite Premiere ist eine Uraufführung: „Ramstein Airbase: Game of Drones”, entwickelt und inszeniert von Jan-Christoph Gockel. Das Stück zieht Verbindungslinien zwischen den USA, Afghanistan/Pakistan und Rheinland-Pfalz. Filmsequenzen und Spielszenen werden halbdokumentarisch verwoben. Weitere Verknüpfungen tauchen auf: mit der Vita des nahe der großen Drehscheibe des US-Militärs in der Pfalz aufgewachsenen Regisseurs; mit Brandon Bryant, jenem Soldaten, der es nicht mehr ertrug, von den USA aus per Joystick via Verstärker in Ramstein  Menschen in Wasiristan zu töten – der zum Deserteur und Whistleblower wurde. Dieses politische  Theater legt die Finger in schwärende Wunden deutscher Mitverantwortung.

Ende 2015 kommt der Inocesco-Klassiker „Die Nashörner” in Mainz auf die Bühne. Ionesco hatte 1958 eine Parabel auf die Entwicklung des Faschismus geschrieben – von der harmlosen Randerscheinung über die subkutane Durchdringung der Normalgesellschaft bis zur Herrschaft von Massen- und Rassenwahn. Im Stück löst sich die menschliche Gemeinschaft auf, indem ihre Mitglieder peu à peu zu Dickhäutern mutieren. „Die Nashörner” ist zu verstehen als Warnung, die in unseren Tagen plötzlich wieder bedeutsam wird: Obacht, der Schoß ist noch fruchtbar, aus dem das kroch!   
                                     
Andreas Pecht

                                        ***

Besprechungen jener o.g. Inszenierungen, die bereits Premiere hatten:

2016-02-01 Brechts "Mutter Courage und ihre Kinder" am Staatstheater Wiesbaden fabelhaft eingerichtet

2015-12-19 Ionescos "Die Nashörner" in Mainz. Gekonnt, aber zu harmlos inszeniert

2015-12-01 Zeitlose Inszenierung von "Nathan der Weise" am Staatstheater Mainz ist brennend aktuell

2015-11-30 "Ramstein Airbase: Game of Drones" eindringliches Bühnenprojekt am Staatstheater Mainz

Zum gleichen Thema:

2015-12-10 Kulturkommentar:
Wie politisch wird die Spielzeit 2016/17? Beispiel der Programmplanungen am Theater Koblenz



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