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2016-01-18a Schauspielkritik:

Bert Brecht geht im Interenet verloren


Oper „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny” am Theater Koblenz: Exquisite Musik, szenischer Stillstand

 
ape. Koblenz. Zunächst eine Empfehlung an alle, die „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny” am Theater Koblenz besuchen wollen, die Handlung aber nur vage oder gar nicht kennen: Machen Sie sich vorweg mittels Lexikon mit dem Inhalt der Oper von Bert Brecht und Kurt Weill vertraut; oder Sie kommen eine halbe Stunde früher und lesen das im Programmheft abgedruckte Libretto. Andernfalls können Sie gut zweieinhalb Stunden zwar fabelhafte Musik erleben, werden aber kaum verstehen, worum es eigentlich geht.



Dabei hat Regisseur Marcus Lobbes das Werk von 1930 formal nicht etwa zu modern hergerichtet. Eher ist das Gegenteil der Fall: Er hat das nach der „Dreigroschenoper” bekannteste Ergebnis der kongenialen Zusammenarbeit von Brecht und Weill als aktionsarme, quasi auf Symbolhandlungen reduzierte Steh- und Sitzoper inszeniert. Die baut szenisch, fast wie antikes Theater, primär auf textliches Erzählen, Sinnieren, Disputieren. Weshalb sich schlechte Verständlichkeit beim Gesang fatal auswirkt, weil keine szenische Bildsprache vervollständigt, was der Zuschauer vom Text nicht mitgekriegt.

Dies ist zentrales Problem von Lobbes Einrichtung: Brecht bleibt auf der Strecke – und das geht gar nicht. Was schade ist, denn die Regie hatte eine durchaus interessante Idee für die Transformation des Stückes ins Heute: Mahagonny – die „Netzestadt” genannt, weil dort Goldgräber via Vergnügungen abgefischt und ausgenommen werden – wandelt sich zum Synonym für das digitale Netz und die Verstrickung der Kurzweilsucher darin.

Wenn im dritten Akt die Brecht'schen Stadtgründer Frau Begbick, Prokurist Fatty und Dreieinigkeitsmoses in mannsgroßen Firmenlogos von Apple, Google Chrome und Facebook durch dumpfe Menschenmassen staksen, kann man rückschließen: Sie haben im ersten Akt keine Stadt, sondern vor flimmernden 0/1-Zahlenkolonnen Internet-Firmen gegründet. Wenn im zweiten Akt auf der Bühne eine Zweitbühne in Bildschirmform (Bühnebild: Pia Maria Mackert) aufgeklappt wird, und über eine Leinwand dahinter Videospiele hetzen, lässt sich vermuten: Die bei Brecht nach dem Prinzip „du darfst alles – so lange du Geld hast” fürs haltlose Fressen, Lieben, Boxen, Saufen entfesselte Stadt Mahagonny ist hier zum grenzenlosen Vergnügungstempel des Internet umgedeutet.

Doch woher das rührt, was macht es mit den Menschen und ihren Beziehungen, welche zentrale Rolle spielt dabei das Geld? Das alles bleibt nebulös bis unbegreiflich – weil dieser Inszenierung eben der Brecht fehlt. Immerhin ist der Weill noch da. Die Umsetzung von dessen Musik macht richtig Freude. Der von Ulrich Zippelius einstudierte Chor steht oder sitzt wie die Hauptdarsteller zwar meist statisch herum, doch gesanglich macht er einen hervorragenden Eindruck. Unter Leslie Suganandarajah spielt das Weill-Orchestrion überwiegend aus Bläsern und Schlagwerkern der Rheinischen Philharmonie trefflich knackig, pointiert, treibend und auch angemessen schnarrend auf. Allerdings wäre Reduktion der Lautstärke für die Textverständlichkeit hilfreich.

Bei den Solisten sind die beiden Damen hervorzuheben, weil sich bei ihnen zu guten und auf Weill passende Sangesleistung ein Quantum Schauspielerei gesellt: Monika Mascus gibt die Begbick als tatkräftigen Courage-Typus; die für die erkrankte Hanna Lee eingesprungene Marysol Schalit formt ihre Jenny als scheinromantisches Girl und damit würdige Vertreterin der Hurenzunft. In der Rolle ihres Lovers Jim Mahoney, der zugleich der Dreh- und Angelpunkt des Brecht'schen Originals ist, hat Deniz Yilmaz ein umfangreiches Pensum zu leisten. Gesanglich ist das tadellos, doch schauspielerisch bleibt seine Figur, wie die anderen Männernfiguren leider auch, konturlos. Es gilt also für „Mahagonny” in Koblenz: hörenswert.

Andreas Pecht

Infos: >>www.theater-koblenz.de/


(Erstabdruck/-veröffentlichung in einem Pressemedium außerhalb dieser website am 18. Januar 2016)


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