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2016-04-19 Schauspielkritik:

Tschechows "Drei Schwestern"
haben den Bonn-Blues



Regisseur Martin Nimz benutzt altrussische Gesellschaftsmisere als Metapher für Bonn-Godesberg

 
ape. Bonn/Bad Godesberg. Damit kein Missverständnis bleibt, wann und wo Anton Tschechows Drama „Drei Schwestern” diesmal spielt, flimmert zum Anfang eine Filmsequenz über den Eisernen Vorhang. Aufgenommen durchs Zugfenster bei einer Eisenbahnfahrt von Remagen 'gen Norden, ziehen draußen Rhein, Siebengebirge, dann die ersten Häuser von Bad Godesberg vorbei. Hier angekommen, öffnet sich der Eiserne und fließen die Filmbilder ins Bühnenbild, das Sebastian Hannak den Godesberger Kammerspielen des Theaters Bonn gebaut hat: eine sich im Unendlichen verlierende unterirdische Katakombe mit Seitennischen – ein fast sacraler Ort; ein Kreuzweg, ein Leidensweg, den nun drei junge Frauen gehen.



Weltfernes Städtchen in Russlands Provinz, voller Kleingeist, Ödnis, Langeweile. Etwas Leben ins Einerlei bringt manchmal nur die Militärgarnison, jetzt der neu herversetzte fesche Offizier Werschinin (Benjamin Grüter). Von ihm sind die drei Schwestern entzückt, denn er kommt von dort her, wohin es Olga, Mascha und Irina mit aller Macht zieht: Moskau, die ferne Weltstadt, in der das Leben pulse und die richtigen Männer für die wahre Liebe zu finden seien; Moskau, Synonym für jedwedes Große, Schöne, Sinnhafte; Moskau, der Schwestern Sehnsuchtsort schlechthin.

So Tschechows Stück von 1901 über die (russische) Gesellschaft, insbesondere ihre an verknöcherter Untätigkeit schier erstickende und zum Untergang verurteilte Oberklasse. Theater, das aus der Durchdringung des Ist-Zustands eine unvermeidlich heraufziehende Zeitenwende ableitete. Der Autor sollte recht behalten. Wird Regisseur Martin Nimz mit seiner aktualisierenden Inszenierung ebenfalls recht behalten? Sein Befund über Godesberg/Bonn unterscheidet sich kaum von demjenigen Tschechows. Denn lebhaft wird es in der Katakombe alias Bonn-Godesberg eigentlich nur bei nostalgischer Verklärung: Die Spielleute, die zum Festtanz einziehen, tragen Masken von Adenauer, Erhard, Brandt, Schmidt, Kohl.... An die alten Helden der großen Orts-Vergangenheit als Regierungssitz klammern sich die jungen Damen von hier und heute beim Tanze verzweifelt.

Nimz' Herangehensweise ist schlüssig, wenngleich teils recht plakativ ausgestaltet. Aber vielleicht braucht es derart unmissverständliche Fingerzeige in Zeiten, da selbst Satire fast nur noch mit drastischster Provokation das wohlige Phlegma bloßer Unterhaltsamkeit aufbrechen und Debatten über den Zustand von Stadt, Land, Gesellschaft entfachen kann.

Dem großen Gestus des zeitgeschlichtlichen Rahmens steht bei dieser Inszenierung die filigrane Zeichnung der drei Schwester-Individuen zur Seite. Olga, die älteste, ist bei Lydia Stäubli eine meist in sich gekehrte Dulderin, den andern ein Kummerkasten, der scheinbar keine eigenen Bedürfnisse hat. Die Mascha von Mareike Heine umschlingt bald den Offizier aus Moskau; glühende Begierde ist ihr Mittel gegen die Drögheit auch ihrer Ehe mit einem langweiligen Spießer von Lehrer.

Nimz hat die jüngste, Irina, ins Zentrum gerückt, dekliniert an ihrer Entwicklung das letztlich selbstauferlegte Nichtentrinnen aus der Gefangschaft in den Verhältnissen durch. In dieser Rolle ist Maike Jüttendonk für den Zuseher ein Erlebnis: Zart und verletzlich einerseits, andererseits als Mädchen erst ein Irrwisch - in unbändig tänzelndem, wirbelndem Bewegungsdrang vor Lust auf Leben sprühend, dass es eine Freude ist. Umso schmerzhafter, dann zusehen zu müssen, wie die Umstände dies Wesen Irinas im Laufe des dreieinhalbstündigen Abends Zug um Zug auflösen – bis am Ende eine Frau übrigbleibt, die ihr Herz völlig verschließt und sich stoisch dem einförmigen und einsamen Schicksal in diesem erstarrten Provinznest überlässt.

Andreas Pecht

Infos: >>www.theater-bonn.de


(Erstabdruck/-veröffentlichung in einem Pressemedium außerhalb dieser website am 19. April 2016)


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