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2015-05-30 Ballettkritik:

Tanz-Dreiteiler "Spannweiten" in Wiesbaden mit Choreografien von Soto, Pite und Kunes


Zeitgenössisches auf sehr hohem Niveau beim Hessischen Staatsballett


 
ape. Wiesbaden. Männer, bekleidet nur mit gefältelten Miniröcken, athletische Staturen, die an antike Olympioniken erinnern. Ihr Tanzen beinhaltet neben Kraft indes auch zarteste Feinheit. Frauen in weißen Kurzdresses. Wohlproportionierte Körper, die wenig gemein haben mit den Magerfeen des klassischen Balletts. Zwölf Vertreter dieser Tänzergeneration hat Gastchoreograf Cayetano Soto für sein „Twenty Eight Thousand Waves” aus dem Ensemble des Hessischen Staatsballetts ausgewählt. Die Europäische Erstaufführung im Rahmen des dreiteiligen Abends „Spannweiten” ist zu recht umjubelter Schlusspunkt der neuen Ballettproduktion für die Staatstheater Wiesbaden und Darmstadt.



Sotos Arbeit ist reine, pure Tanzkunst moderner Manier mit teils nie gesehenen Figuren. Die Bewegungsfolgen sind filigran wie kristallklar durchchoreografiert und meist von   schwindelerregend hohem Schwierigkeitsgrad. Das Stück beginnt unter und zwischen auf Kopfhöhe  herabgelassenen Scheinwerferbatterien mit einem streng neoklassischen Frauenquartett. Die Damen  betören mit hinreißender Grazie, verströmen aber zugleich ein ebenso kraftvolles wie sinnliches Selbstbewusstsein. Das nehmen sie ungebrochen mit ins nachfolgende Kaleidoskop tänzerischer Geschlechterbeziehungen.

Grazie, Kraft, Sinnlichkeit: Auf die Melange dieser Komponenten sind auch die Männer eingeschworen. So ist bei Soto Emanzipation in beide Richtungen erlebbar. Die Herren befreit von der bloßen Funktion als Halter und Heber der Ballerinas, die Damen befreit von der Pflicht, in Aussehen und Bewegung mit bloßer Schönheit zu glänzen. Forderung und Hingabe sind beidseitig. Heraus kommt ein vielgestaltiger Wirbel furioser Hebefiguren und zu mannigfach komplexen, bisweilen auch verspielten Ensemble-Konstellationen verwobener Figurenfolgen. Ein ästhetischer Hochgenuss, der dank gefühliger Musiken von David Lang und Bruce Dessner eine Grundierung zwischen Melancholie und Lebensfreude erhält.

Ungleich düsterer geht es in den beiden anderen Abendteilen zu. Crystal Pite, einstige Forsythe-Tänzerin und nachher Choreografin am Frankfurter Mousonturm, bringt ihr Stück „Ten Duets On A Theme Of Rescue” in Wiesbaden mit fünf Tänzern der hessischen Compagnie zur Deutschen Erstaufführung. Im vernebelten, von Jim French mit raffinierter Sparsamkeit angeleuchteten  Halbdunkel reihen sich kleine, dichte Tanzszenen. Es geht um Hilfe, vielleicht um Rettung, die so oder so geplagte, verzweifelte Menschen gegenseitig gewähren. Zum Soundtrack von „Solaris” finden sich Blicke, Hände, Bewegungen, Körper; halten, ziehen, schieben, tragen einander aus dem Dunkel heraus oder in selbiges hinein.

Die Andeutungen sind vage, der Deutungsmöglichkeiten viele. So auch bei Václav Kunes' Wiesbadener Uraufführung „Phantom DanceOne” vor einem riesenhaften metallenen Eckbau. Den könnte man als aufgeklapptes Buch interpretieren, weil auf die Flächen Textpassagen aus Haruki Murakamis Roman „Tanz mit dem Schafsmann” projiziert werden. Wieder ist eine kleine Fünfer-Besetzung in Aktion. Mit dunklen Geschäftsanzügen ausstaffiert wirken sie wie auf Däumlingsgröße geschrumpfte Gefangene eines kalten Systems, das sie ständig gegeneinander ausspielt. Mal müht sich eine Dreier- oder Vierergruppe in akkuratestem Synchrontanz, mal ein Einzelgänger in erschöpfendem Solo – während die Unbeteiligten ungerührt zu sehen.

Der von Kunes und Pite gepflegten, recht ähnlichen Tanzstilistik ist anzusehen, dass beide einst mit Forsythe's ballettfrankfurt wie mit dem Nederlands Dance Theater gearbeitet haben. Schnelle, dichte Bewegungsfolgen; aufgebrochene Körpersymetrien; kunstvolle Quasi-Natürlichkeit; der Neoklassik zwar noch verbundene, doch ihr mit gekrümmten, geknickten, verdrehten Gliedmaßen stets tendenziell auch entfliehend...  Mit „Spannweiten” präsentiert das Hessische Staatsballett einen spannenden Ausschnitt zeitgenössischer Ballettkunst – auf einem für die Großregion faszinierend hohen tänzerischen Niveau.       

Andreas Pecht

Info/Karten: >>www.staatstheater-wiesbaden.de

(Erstabdruck einer leicht gekürzten Fassung in einem Pulikumsmedium außerhalb dieser website am 30. Mai 2015)


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