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2015-05-07 Schauspielkritik:

„Romeo und Julia” aus Hamburg:
Text raus, Musik rein



Thalia Theater zeigte bei Wiesbadener Maifestspielen seine eigenwillige Fassung des Shakespeare-Klassiker

 
ape. Wiesbaden. Das Hamburger Thalia Theater gastierte jetzt bei den Wiesbadener Maifestspielen mit seiner Sicht auf Shakespeares „Romeo und Julia”. Das Publikum hierorts war gespannt, was eine der führenden  Schauspielbühnen Deutschlands aus dem weltweit bekanntesten und wohl auch wirkmächtigsten Theatersstück aller Zeiten gemacht hat. Zuerst seien die Rekorde von Jutta Steckels Inszenierung vermerkt: dreieinhalb Stunden Abendlänge; mehr als 50 Mitwirkende; Musik in bei diesem Stück nie erlebter Fülle und Lautstärke; im Gegenzug so wenig Sprechtext wie ebenfalls noch nie erlebt.



„Romeo und Julia” handelt von der Tragödie zweier Teenager. Weshalb das 14-jährige, eben erst geschlechtsreif (und damit historisch heiratsfähig) gewordene Mädchen und ihr nur wenige Jahre älterer Geliebter über diverse Epochen der Theatergeschichte allerhand Jugendkulturen durchlaufen mussten. Ob Pettycoat-Twister, Hippies, APO-Revoluzzer, Rocker, Punks, Grunger oder Migrantenkids: Jedes Mal erwischte Shakespeare sie doch wieder mit seinem Urgewitter spontanen Wahns romantischer Liebe.

Also ist es wenig wunderlich, wenn diesmal Romeo in verwaschenen Schwarzjeans, Julia in Schlabberhemd und bunten  Leggins auftritt. Wenn die rohe Bühne (Florian Lösche) ausschaut wie eine leere Fabrikhalle, die mittels variablen Vorhänge aus Lichterketten in einen Techno-Club verwandelt ist. Wenn Anton Spielmann von „1000 Robota” und Anja Plaschg von „Soap&Skin” als angesagte Szenemusiker den Abend mal mit donnernd-treibenden Rhythmen und bombastischen Klangkaskaden, mal mit düsterer Songpoetik ausgestalten.

Bei allem Verständnis für den zeitgenössischen Regie-Ansatz bleibt ein Umstand allerdings sehr befremdlich: Das offenkundige Misstrauen ausgerechnet eines Schauspielteams in die Kraft, die Macht der Sprache und des sprechenden Spiels. Steckel reduziert im ersten Teil den Text auf einige zentrale Zitate und ein paar den Handlungsverlauf vage stützende Sätze. Stattdessen baut sie auf musikalische, choreographische, beleuchtingstechnische Atmosphäreeffekte. Heraus kommt: ein zwar raffiniertes, aber gewagtes und fragwürdiges Jonglieren mit Mitteln des Herzeleid-Kitsches a la populärem Musical und zugleich Shakespear'schen Tragödienmomenten.

Auf der Strecke bleibt dabei Romeo als ernsthafte Figur: Mirco Kreibichs Toben, Schreien, Peinkrümmen ist derart überzogen, dass es jeder Glaubwürdigkeit entbehrt und nur mehr als manierierte Effekthuberei verstanden werden kann. Obwohl im Grunde ähnlich angelegt, widersteht die Julia von Birte Schnöink diesem Zug mit einer zwischen renitenter Göre und zart-verspieltem bis melancholischem Mädchen changierenden Natürlichkeit. Das man ihr zur Todeszene einen unsäglich kitschigen, von innen beleuchteten Reifrock anzieht, hat sie nicht verdient.

Doch Schnöinks starkes Spiel übersteht diese Zumutung ebenso wie schließlich auch Shakespeares Werk den „stylischen” Zugriff von Jette Steckel. Je mehr zum Ende des Stückes hin äußere Action todesschwangerem Sinnieren weicht, umso mehr muss auch diese Inszenierung wieder auf das Wort zurückgreifen. Und einmal mehr erweist sich dann Shakespeare als unkaputtbar.

Die neue Textübertragung von Frank-Patrick Steckel ins Deutsche wird einer der interessantesten Aspekte des Abends. Der Vater der Regisseurin ist zwar Shakespeares Vers-Anlage oft nicht gefolgt. Dafür hat er erhebliche Mühen darauf verwandt, die berühmt-berüchtigten, aber in vielen Direktübersetzungen kaum begreiflichen englischen Wortspiele des Dramatikers durch Verwandte aus der deutschen Sprachtradition zu ersetzen. Das ist riskant, weil darin die Gefahr lauert, dass das Ergebnis im Publikum bloß als banale Kalauerei empfunden werden könnte. Gleichwohl macht die Steckel-Übertragung so sehr schon deutlich, welch furios mehrdeutiges Sprachfeuerwerk Shakespeare da vor allem in den spritzig hunmorigen bis zynischen Dialogen abbrennt. Daraus  ergeben sich etwa für den saftigen, aggressiven Mercutio von Julian Greis wunderbare, überraschende Sprechmomente.

Der Beifall für „Romeo und Julia” aus Hamburg war im Hessischen Staatstheater Wiesbaden lang und laut. Die Begeisterung des Beobachters hält sich indes in Grenzen, weil: Shakespeare braucht keinen Musical-Tinnef, um alt wie jung zu erreichen. Und: Den beiden Hauptdarstellern 40 Jugendliche als Chor und choreographische Vervielfältigung ihrer selbst an die Seite zu stellen, ist eine hübsche Idee –  jedoch überflüssig, um zu begreifen, dass das Stück uns alle meint.

Andreas Pecht


(Erstabdruck/-veröffentlichung in einer etwas gekürzten Fassung außerhalb dieser website am 7. Mai 2015)


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