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2015-04-20 Schauspielkritik:

"Faust I" am Theater Bonn. Fünf Schauspieler geben Goethes Klassiker als Zweipersonenstück

Etliche Teufel im Herzen
des Doktor Faust


 
ape. Bonn/Godesberg. „Habe nun, ach! Philosophie, / Juristerei und Medizin, / Und leider auch Theologie! / Durchaus studiert, mit heißem Bemühn.” Die ersten Worte der Premiere in den Kammerspielen Godesberg des Theaters Bonn sind so berühmt und vertraut wie die letzten: „Heinrich! Mir graut's vor dir.” Gegeben wird mit Goethes „Faust I” ein Stück, das seit der Uraufführung 1820 in jeder Generation an bald jedem Theater mehrfach in je neuer Interpretation auf die Bühne kam. Jüngst wieder am Theater Koblenz. Wie dort, so begegnet dem Zuseher jetzt zwischen Anfang und Ende von Alice Buddebergs Bonner Inszenierung auch vielerlei Nichtvertrautes.
 


Knapp drei Stunden dauert die Aufführung. Was für den „Faust” normal ist, in diesem Fall indes  fast wunderlich, angesichts dessen, was vom Stück alles gestrichen wurde: Vorspiel, Prolog, Vor dem Tor, die Hälfte der Szenen im Studierzimmer, in Auerbachs Keller und der Hexenküche, die Passagen in der Nachbarin Haus und am Brunnen, die ganze Walpurgisnacht und einiges mehr. Bevor sich nun einer empört, sei in den Blick genommen, was übrig bleibt und ausführlich durchdekliniert wird: Einerseits die wichtigsten Elemente, die mit Dr. Fausts Selbstzweifeln und Zerrissenheit zu tun haben; andererseits Kernstücke der tragischen Beziehung zwischen Faust und Gretchen.

Darauf konzentriert sich die Inszenierung, weshalb deren Personenkonzept Logik innewohnt. Es wirken nur fünf Schauspieler mit, die, genau betrachtet, „Faust I” auf ein Zweipersonen-Stück reduzieren: hier Faust, da Gretchen. Und wo bleibt der Teufel, Mephistopheles? Der steckt sozusagen im Dr. Faust drinne. Gibt es in Koblenz Titelfigur und Teufel jeweils gedoppelt, so in Bonn Erstere vierfach und Letzteren gar nicht, beziehungsweise nur als auf drei Schauspieler aufgespaltene Psycho-Abgründe Fausts.

Alle gleich kostümiert, gibt Wolfgang Rüter mit einer nach alter Schule wunderbar tragenden  Stimme und schön gebremster Emphase den meist frustrierten Alten im Faust'schen Persönlichkeitsspektrum. Daniel Breitfelder fällt die Rolle des jugendlichen Freaks zu. Und die fabelhafte Johanna Falkner personifiziert den sinnlich-weiblichen Anteil – der in den Tiefen jedes Mannes steckt, wie Goethe wusste und 200 Jahre vor ihm schon Shakespeare. Die Regieidee ist schnell begriffen: Bonn will spielen/zeigen, was zwischen den Zeilen steht, will die hinter der Textoberfläche steckenden Implikationen sichtbar machen.

Diese Idee wird mit einiger Konsequenz verfolgt. Zur Seelenentblößung von Glenn Goltz als Kern-Faust wie auch von Mareike Hein als Gretchen gesellen sich mannigfach sexuelle Anspielungen und Leibesentblößungen. Es ist nicht Sache der Kritik über Nacktheit auf der Bühne zu moralisieren, sondern zu prüfen, ob sie für die vorliegende Inszenierungsabsicht sinnvoll ist. Ja, sie ist. Denn was verhandelt Goethe zwischen den Zeilen wieder und wieder? Nicht nur, aber doch sehr zentral Fleischeslust. Allerdings treibt Buddeberg es um der Betroffenheitswirkung willen zu arg mit dem Seele-aus-dem-Leib-kotzen wie mit der Auszieherei. Wenn wir dem Bonner „Faust” etwas vorwerfen müssen, dann Überdramatisierung vor allem bei den beiden zentralen Rollen.

Trefflich ausgeleuchtet, bietet die Bühne von Caro Saller ein ausgezeichnetes Spielfeld. Rundum leer, roh, schwarz hängt mittig eine Plattform. Hochgezogen, lässt sie in die vergammelte Bude eines von Sinn- und Schaffenskrise gebeutelten Malers blicken, zu dem in Bonn  Goethes Universalgelehrter umgedeutet ist. Runtergelassen wird sie zu wankendem Boden, auf dem die inneren Teufel von Faust und Grete als „schwankende Gestalten” miteinander ringen.

Am heftigsten tut das die sitzengelassene und eben niedergekommene Maid in einer Szene, die es bei Goethe gar nicht gibt: Minutenlang schleicht Grete von Seelenpein geschüttelt mit ihrem noch schleimigen Neugeborenen um einen Wassereimer herum. Darin ertränkt sie schließlich die Frucht jenes  liebenden Begehrens, das bei Faust gleich nach der Befriedigung erlosch. Das ist zu viel der Effekthascherei – in einer sonst weithin schlüssigen, diskussionwürdigen, sehenswerten „Faust”-Interpretation.


Andreas Pecht

Infos: >>www.theater-bonn.de/


(Erstabdruck/-veröffentlichung in einem Publikusmmedium außerhalb dieser website am 20. April 2015)


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