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2015-04-15 Schauspielkritik:

Uraufführung "Kollaps" von Philipp Löhle in Wiesbaden. Inszenierung: Jan Philipp Gloger

Nettes Schauspiel über den
letzten Tag der Menschheit


 
ape. Wiesbaden. Stell dir vor das Internet fällt aus; landesweit, weltweit, für unabsehbare Zeit, womöglich für immer. In Philipp Löhles neuem Stück „Kollaps” beginnt damit der letzte Tag der Menschheit. Die fünf Protagonisten der von Jan Philipp Gloger jetzt am Staatstheater Wiesbaden inszenierten Uraufführung brauchen eine Weile bis sie das begreifen. Doch als der Strom weg bleibt, die Smartphones tot sind, aus Wasserleitungen nur Luft kommt, Vögel vom Himmel fallen, auf den Straßen der Mob tobt – da stellt sich ihnen die Frage: Was anfangen mit der verbleibenden Zeit vor dem Ende?



Damit sind die Erwartungen an das Stück in enorme Höhen geschraubt, zielen auf Verhandlung finaler Perspektiven, der Sinnhaftigkeit des Daseins, auch auf das „Was würdest du nun tun, das du immer schon wolltest, aber dich nie trautest”. Diese Erwartungen erfüllt der knapp zweistündige Abend allerdings nicht. Zu lange hält er sich mit dem nur mäßig geglückten Versuch auf, eine sich verdichtende Atmosphäre fortschreitenden Zusammenbruchs des gewohnten Lebens aufzubauen. Zu harmlos rutscht er nachher über die eigentlich interessierenden Phänomene hinweg, die aus von Konventionen losgelöstem Endzeitverhalten erwachsen (könnten). 

Hier ist Verena (Barbara Dussler): Yuppie-Maid, die sechs Fremdsprachen draufhat und vorgeblich schon zwei Jahre nach ihrem Wirtschaftsstudium die erste Asienniederlassung eines Westkonzerns zum Erfolg gemanagt. Sie wird ein bisschen hysterisch als das Smartphonenetz den Geist aufgibt. Da ist Sven (Toomas Täht): arbeitsloser Industriemechaniker, der als frustrierter Ein-Euro-Jobber Parks sauber halten muss und die ersten toten Vögel aufsammelt. Dort ist Marco (Janning Kahnert): Svens Betreuer beim Arbeitsamt, der seine Selbstsicherheit verliert als er wegen verschwundenem Internet seinen Schützling nicht mehr mit  Powerpoint-Vorträgen über die grandiosen Aufstiegschancen eines 400-Euro-Jobs traktieren kann.

Dann hätten wir den Mittelstandsunternehmer Ronny (Stefan Graf), der sich totkrank in lachhafter Vergeblichkeit mit diversen Suizidversuchen abmüht und bei dem sich Verena einen Führungsjob ermogeln will. Schließlich wäre da noch Marcos Ehefrau Sophie. Sie trägt nur am Ende ein quälendes Geheimnis in sich, das weit über den banalen Ehebruch mit Ronny hinausgeht, zu dem sie sich angesichts der Apokalypse durchringt. Judith Bohle setzt in dieser Rolle am konsequentesten die Spielweise um, die Gloger wohl dem ganzen Ensemble zugedacht hat: weithin natürlich, unaufgeregt, undramatisch geht sie leichten Schritts, meist mit hübschem Lächeln und Plauderton durch den letzten Tag menschlichen Seins – als würde sie von einem Treppenwitz der Geschichte erzählen, während sie ihn durchlebt.

Derweil bemächtigt sich Müllsammler Sven mit vorgehaltenem Gewehr der Statussymbole bürgerlicher Normalität. Vom Unternehmer erzwingt er den Anzug, vom Arbeitsamtbetreuer Auto und (totes) Handy, vom neoliberalen Popanzgirl Verena das momenthaft vorgegaukelte Gefühl familiären Glücks. Doch jeder Gewaltakt gerät gleich zur lustigen Comedy-Szene, auch erinnert das akustische Toben des Mobs draußen vor der bühnenbreiten Glaswand eher ans Säuseln eines Blätterwaldes im Windchen.

Das alles ist überwiegend famos gespielt, nett und amüsiert anzusehen. Freilich gehen Stück wie Inszenierung an den Implikationen und Möglichkeiten der Thematik einfach vorbei. Da hilft auch der Trick nichts, dass bereits der Prolog den vermeintlichen Weltuntergang als nur vorübergehende Unterbrechung der Normalität kenntlich macht. Denn immerhin bekennen die Betroffenen zu Anfang: „Wir haben das nicht gewusst”.      

Andreas Pecht

Infos: >>www.staatstheater-wiesbaden.de/


(Erstabdruck/-veröffentlichung in einem Pressemedium außerhalb dieser website am 15. April 2015)


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