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2015-04-14 Nachruf:

Zum Tod von Günter Grass

Er hinterlässt ein bleibendes Erbe


ape. Was immer er schrieb, wurde Stein des Anstoßes. Stieß Nachdenken an und Streit, Begeisterung und Anfeindung. Was ließe sich Schöneres sagen über ein Oeuvre und seinen Schöpfer – den ich nicht zuletzt schätze, weil der Elfenbeinturm kein Ort für ihn war, weil der Literat sich zugleich als Verfassungspatriot und Citoyen verstand, als sich einmischender Bürger. Günter Grass war eines der Idole meiner Jugend wie Heinrich Heine auch. Beide sind mir Wegbegleiter, Freunde, Brüder im Geiste noch immer. Nun sind beide tot. Doch auch von Günter wird bleiben, was schon von Heinrich geblieben ist: ihre dem Menschlichen verpflichtete Kunst, ihr sinnend-aufrüttelndes Schauen, die ermutigende Kraft ihrer human-republikanischen Widerständigkeit.

Neulich bin ich im Schauspiel Frankfurt Oskarchen wiederbegegnet. „Die Blechtrommel” hatte als Ein-Personen-Stück Premiere und die Inszenierung führte den Blickwinkel des Trommlerbuben, der nicht erwachsen werden will, mit unglaublicher Intensität vor Augen. Da wurde einem plötzlich wieder bewusst, wie sehr der kleine Kerl aus Grass' frühem Roman den eigenen Blick beeinflusst hat, wie sehr er auch Teil des kulturellen Kollektivgedächtnisses geworden ist. Man sitzt im Theater und ergänzt den Bühnenmonolog im eigenen Kopf mit Bildern aus Schlöndorffs Verfilmung. Unter diesen kriechen bald Erinnerungen an Empfindungen hervor, die einen bei der Erstlektüre des Romans, ja der ganzen Danziger Trilogie vor Jahren oder Jahrzehnten heimgesucht hatten.

Und: Eben jetzt, angesichts der Nachricht von Grass' Ableben, melden sich aus den Tiefen des Gedächtnisses auch die literarischen Geschwister von Oskarchen zurück. Unke, Schnecke, Butt, Rättin, Fonti. Und: Ja, keiner von denen hat es einem leicht gemacht. Die Bücher ließen sich so wenig „fressen” wie des Autors politische Einmischungen leicht verdauen; alles wollte bedacht, durchdacht, entschlüsselt, diskutiert werden. Und: Nicht selten auch haderte ich mit meinem Idol. So 2002 wegen der (irrigen) Annahme, er habe in „Krebsgang” die deutsche Kriegsschuld ausgeblendet.

So erst recht 2006, da mit Erscheinen des Erinnernungsbuches „Beim Häuten der Zwiebel” bekannt wurde, dass der Autor mal die SS-Uniform getragen hatte. Nicht, dass der 17-jährige Bub in den letzten Kriegstagen blindbegeistert sich in Hitlers schwarze Bataillone eingereiht hatte, schmerzte. Es war Günter Grass' dummes Scham-Schweigen über diese Kriegsumstände durch ein ganzes aufmerksames Erwachsenenleben und ein ganzes kluges Lebenswerk hindurch, das mich die Hände ringen ließ. Jetzt bissen die Hunde wieder, wollten für nichtig erklären jeden kritischen Satz, den er als Schriftsteller und Bürger über das Land und dessen Leute von sich gegeben hatte.

Es ist nicht gelungen und wird auch fernerhin nicht gelingen. Denn ich glaube, wir sind seiner anstößigen Kunst und Geisteshaltung zum Zwecke der Selbstbefragung so bedürftig wie derjenigen Heinrich Heines – heute und in Zukunft vielleicht mehr denn je.  

Andreas Pecht


(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website
14. April 2015)

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