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2015-03-08 Schauspielkritik:

Clavigo macht bei den
Ölscheichs Karriere


Goethe-Klassiker behauptet in Wiesbaden aktuelle Relevanz. Regie: Hakan Savas Mican

 
ape. Wiesbaden. Die Kulturgeschichte kann gewisse Werke einfach nicht beiseite legen und vergessen. Von den Nachgeborenen werden sie wieder und wieder aufgegriffen. Warum? Weil sie in sich das Potenzial tragen, den Menschen diverser Zeitalter Wichtiges zu geben. Die Liebe zwischen Romeo und Julia, Othellos Eifersucht, Faust's Sinnsuche: Stets richtet sich das Mühen guten Theaters auf die Frage, wie die alten Stücke zu inszenieren sind, damit jenes Potenzial nicht in musealer Kulinarik verloren gehe, sondern das Publikum auch nach Jahrhunderten neuerlich packe und in Nachdenken über sich selbst stürze.



Die Bühnenkunst verfügt über viele Mittel zur „Aktualisierung” der Klassiker. Bühnenbild, Kostüme, Spielweise, Texteingriffe katapultieren Werke in andere Epochen, machen aus dem Königshof einen Bürgersalon oder die Verstandsetage eines Konzerns. Und jedesmal ist neu zu entscheiden, ob eine sinnvolle Übertragung des ursprünglichen Anliegens auf das Heute vorliegt oder nur dessen mutwillige Verwurstung. Am Staatstheater Wiesbaden hat jetzt Regisseur Hakan Savas Mican Goethes Trauerspiel „Clavigo” vom Madrid des 18. ins Dubai des 21. Jahrhunderts versetzt.

Aus dem bei Goethe ehrgeizigen königlichen Archivar und Zeitschriften-Herausgeber Clavigo macht Mican einen in Deutschland aufgewachsenen Geburtstürken, der im Dienste der Ölscheich-Dynastie seinen journalistischen Ethos aufgibt und als deren Medienberater nach Wohlstand und Ansehen strebt. Marie verspricht er hier wie da die Ehe. Doch ist sie in der Wiesbadener Version nicht mehr bloß liebende Maid, sondern deutsche Autorin, die zuvor mit Clavigo in Frankfurt ein Internet-Magazin herausgebracht hatte. Der verrät nun, befeuert vom kaltschnäuzigen Freund Carlos (Ulrich Rechenbach), zweimal die seiner Karriere in der arabischen Boomtown hinderliche Liebe.

Diese Inszenierung erinnert an einen Aspekt des Originals, der oft übersehen wird: Clavigo, Marie und deren Schwester Sophie sind auch bei Goethe Migranten, die fern der Heimat im reichen Madrid ihr Glück suchen. Insofern ist Micans örtliche Versetzung des Geschehens schlüssig. Wie aber wird es auf junge Leute der Gegenwart gedreht? Der Regisseur hat zusammen mit Oliver Kontny den Stücktext bearbeitet, hat reichlich Sprachelemente der Digitalgeneration und ihrer egomanischen Yuppiefraktion beigefügt.

Das wirft Probleme auf. Einerseits bemüht sich die Bearbeitung zwar, die Hinzufügungen dem Goethe'schen Rhythmus anzuverwandeln; sie bleiben dennoch Fremdkörper. Andererseits wird eine Menge Originaltext in ungebrochenem historischem Duktus gesprochen, was dem Spiel oft ein arges Pathos aufsetzt. Wie die Sprache, so versuchen auch Miriam Martos Kostüme und Sylvia Riegers Bühne mit einer Melange aus Heutigkeit und historisierenden Anklängen eine Brücke zwischen Goethe und Mican zu erhalten – und dem Zuseher derart die aktuelle Relevanz des Stückes von 1774 vor Augen zu führen. Der Ansatz hat inhaltlich vieles für sich; die 90-minütige Umsetzung kommt leider als Belehrung recht aufdringlich daher.

Ähnlich fallen die Figurenzeichnungen im Ensemble aus. Der Clavigo von Christian Erdt behauptet lebhaft innere Zerrissenheit, bleibt aber in äußerlicher Eindimensionalität stecken. Die Marie von Barbara Dussler lässt einige schöne Momente des Schmerzes wie der Hoffnung aufscheinen, muss sich aber meist auf die Rolle des schrillen Psycho-Wracks reduzieren. Ihr Bruder Beaumarchais wird bei Felix Mühlen zum tobsüchtigen Finsterling und der Buenco von Toomas Täht konturloses Beiwerk. Die schauspielerisch interessanteste Figur ist die Sophie von Kruna Saviæ: eine Frau von schier geheimnisvoller Ambivalenz, die im Wechselspiel der Gefühle ihre eigenen Ziele zu verfolgen scheint; welche, das bleibt ungewiss.

Andreas Pecht


Infos: >>www.staatstheater-wiesbaden.de/


(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website
am 9. März 2015)


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