Quergedanken Nr. 121
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2015-02-24 Kolumne/Glosse:
 
     
     
    Die Kehrseite
   von Preußens
   Gloria

           

ape.
Walter summt munter den Marsch „Wir preußischen Husaren”. Dass ihm nicht der königstreue Originaltext auf der Zunge liegt, ist klar. Er grölt auch gleich jene Umdichtung, die seit 1800 von Soldaten oft gesungen wurde:
 

„O König von Preußen, / du großer Potentat, /
wie sind wir deines Dienstes / so überdrüssig satt! /
Was fangen wir nun an / in diesem Jammertal /
allwo ist nichts finden / als lauter Not und Qual... .”

Der Freund schließt mit der Aufforderung: „Diesmal sollst du richtig den Oberlehrer geben und eine Geschichtsstunde. Damit die Rheinländer im Preußenjahr 2015 nicht ganz vergessen, dass wir dank königlich-preußischer Bajonette statt 1848 erst 1918 zur ersten demokratischen deutschen Republik kamen.”

Rheinländer und Preußen: ein schwieriges Kapitel. Letztere haben die Eisenbahn ins Rheintal gebracht, die Industrialisierung des Rheinlandes forciert, und es sind ihnen gewissermaßen das Unesco-Welterbe am Mittelrhein sowie die Mehrzahl der Welterbestätten in NRW zu danken. Dennoch sträubt sich mir manches gegen das vom Rheinischen Verein ausgegebene Motto „Danke Berlin” für die diesjährige Gedenkkampagne anlässlich des Wechsels von französischer zu preußischer Fremdherrschaft über das Rheinland vor 200 Jahren.

Die Bayern haben's da leichter. Bei denen gehört das Urteil „Saupreußen, daamische!” seit anno Urtobak zum Brauchtum. Fragt man sie aber nach ihren aus der Pfalz eingeheirateten Wittelsbacher-Königen von Napoleons Gnaden, dann wird es auch zwiespältig – und geschichtsvergessen. Immerhin haben die Münchner ihren Ludwig I. vom Thron rebelliert, zuvor seine pfälzischen Untertanen ihn mit dem Hambacher Demokratiefest 1832 zur Weißglut getrieben und 1848/49 teils eifrig bei der badischen Revolution mitgefochten. Wer hat die blutig niedergeschlagen? Truppen unter preußischer Führung.

Zurück zu den Rheinländern. Die waren keineswegs glücklich, als ihre Heimat infolge des Wiener Kongresses preußische Rheinprovinz wurde. Goethe schrieb nach einem Besuch in Koblenz: „Der Zustand war nicht erfreulich, in welchem man die Menschen antraf, die nun einem Reiche angehören, dessen Mittelpunkt von ihnen durch Gebirge, Flüsse, Provinzen, ja durch Bildung, Denkweise, Religion, Sitten, Gesetz und Herkommen getrennt ist.” Und Preußens Innenminister klagte: „Die Rheinländer betrachten ihr Land als occupirt.” Weshalb in Düsseldorf Preußenprinzen mit Pferdeäpfeln beworfen wurden – wohingegen man ihnen in Koblenz untertänigst Burg Stolzenfels schenkte.

Zu den Aufmüpfigsten gehörten die Koblenzer halt nie. Brav 800 Jahre Trierer Kurfürsten gedient, sich dann mit den Franzosen arrangiert, Vormärz und 1848/49er-Revolution verschlafen (**), die 1918/19er als Palaver im Theatersaal absolviert. Das Metternich-Gen sitzt tief am Deutschen Eck und das Görres-Gen neigt zu katholischer Bittstellerei. Man stellt hier keine Freiheitsbäume, höchstens Seilbahnmasten. Und man vergisst gerne, dass der „romantische” Preußenkönig Friedrich Wilhelm IV. nicht nur den Wiederaufbau der Rheinburgen initiierte und die Vollendung des Kölner Doms. Sondern dass er das Paulskirchen-Parlament auseinander trieb und Volkssouveränität als „Dreck” bekämpfte. Dass er die deutsche Demokratiebewegung 1849 zusammenschießen ließ und so weitere 70 Jahre Feudalregiment begründete.

Deshalb unser Vorschlag zur dialektischen Güte: Das Motto des Preußenjahres um ein Satzzeichen erweitern – „Danke Berlin?” 



(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website
9./10. Woche im Februar/März 2015)

**Anmerkungen zur Historie s.u.
                                            

hier Zugriff auf sämtliche "Quergedanken" seit 2005

                                         ***

** Anmerkung zur Revolution 1848/49:

Am 27. Februar 1848 erhebt eine Volksversammlung in Mannheim Forderungen nach Volksbewaffnung mit freier Wahl der Offiziere, uneingeschränkter Pressefreiheit, Einrichtung von Schwurgerichten nach englischem Vorbild und sofortiger Herstellung eines deutschen Parlaments. Dies ist der Startschuss zur Badischen Revolution. Am Tag darauf erhebt eine Volksversammlung auch in Mainz republikanische Forderungen. Heidelberg folgt am 5. März – und dann gibt es kein Halten mehr: Der antifeudale, nationaldemokratische Impuls breitet sich in Windeseile über den ganzen Deutschen Bund und weiter aus.

In der Frankfurter Paulskirche tritt im Mai 1848 das erste gesamtdeutsche Parlament als verfassungsgebende Nationalversammlung zusammen. Doch der Traum von Freiheit soll nicht lange währen: Bereits im April 48 wurde die erste Phase der Badischen Revolution von schwäbischen Truppen blutig niedergeschlagen. Die Preußen befrieden nachher Mainz, Trier, Köln und Düsseldorf gewaltsam. Das Jahr 1849 ist weithin von bürgerkriegsähnlichen Verhältnissen gekennzeichnet. Im Mai schlagen sächsisch-preußische Truppen den Dresdner Aufstand nieder. Fast zeitgleich beendet preußisches Militär mit Gefechten in Kirchheimbolanden, Ludwigshafen und in der Nähe von Landau den pfälzischen Mai-Aufstand und wird die Frankfurter Nationalversammelung aufgelöst. Im Juni treibt Militär das nach Stuttgart geflohene Rumpfparlament auseinander, im Juli 1849 wird die dritte badische Erhebung durch Bundestruppen unter preußischer Führung  blutig zerschlagen.

Die Formulierung in den obigen Quergedanken, die Koblenzer hätten die Revolution 1848/49 "verschlafen", ist der satirischen Schärfe wegen vielleicht etwas schräg. Denn auch in Koblenz rumorte damals durchaus der Geist des demokratischen Wandels. Allerdings: Während in der weiteren Umgebung auf den Straßen und an Barrikaden gekämpft wurde, begnügte man sich am Rhein-Mosel-Eck mit kleineren lautstarken aber friedfertigen (Diskussions-)Versammlungen, Petitionen an die preußische Obrigkeit und Gedenkgottesdiensten für die beim Berliner März-Aufstand 1848 von Soldaten des Preußenkönigs Friedrich Wilhelm IV. getöteten 183 Demonstranten. (ape)
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