Kultur / Theater
homezur Startseite eMail an Autor • eMail to author • contact auteureMail an den Autor Seitenübersicht • sitemap • Plan du siteÜbersicht sitemap Seite drucken • site print • imprimer siteArtikel drucken

2015-01-22 Einschätzung:

Halbzeit der ersten Saison am Staatstheater Mainz unter neuer Intendanz

Sehr viele Handschriften

 
ape. Mainz. Nach eineinhalb Dutzend Premieren am Staatstheater Mainz unter Ägide der neuen Intendanz von Markus Müller stellt sich zur Halbzeit der ersten Saison die Frage: Was für ein Theater haben wir da jetzt? Die Antwort muss vage bleiben, weil eingetreten ist, was nach vorab erklärter Programmatik der neuen Leitung erwartbar war: ein Nebeneinander unterschiedlichster Stile und Handschriften. Weshalb mal ein Theater der Vielfalt gelobt, mal ein Sammelsurium oder Beliebigkeit bemängelt wird.



Vom Spielzeitstart bis zum Jahreswechsel kamen drei große Opernproduktionen auf die Bühne, die bei Publikum wie regionaler Kritik überwiegend auf Beifall trafen. Auch überörtlich starke Beachtung fand „Simplicius Simplicissimus”, von Karl Amadeus Hartmann zwischen 1934 und 1936 in innerer Emigration geschaffen. Ein aufwühlender Abend, der in der klugen Inszenierung von Hausregisseurin Elisabeth Stöppler den ahnungsvollen Vorgriff Hartmanns auf den 2. Weltkrieg ausdehnt auf jedweden Krieg.

Mit dieser ernsten, aufwühlenden Arbeit setzte das Mainzer Theater einen Kontrapunkt zu den vorausgegangen Inszenierungen „The Fairy Queen” von Purcell und Rossinis „Barbier von Sevilla”.  Beide schwelgen in opulenter Ausstaffierung, bedienen knuffig-raffiniert bis mutwillig die Unterhaltungsklaviatur. Da ist etwa der „Barbier” in eine Unterwasserwelt verlegt und spielt die Titelfigur als Jack-Sparrow-Verschnitt auf. Was das Niveau des neu zusammengestellten Opernensembles angeht, ist trotz reichlich Applaus für etliche Einzelleistung bei manchem Kritiker eine gewisse Verhaltenheit zu spüren. Es handle sich wohl eher um eine Gruppe vielseitiger Künstler als eine Ansammlung von Spezialisten, schreibt einer.

Verhaltenheit gibt es in noch stärkerem Maße hinsichtlich der Schauspielsparte. Zehn Premieren in den ersten drei Monaten sind ein gehöriges Pensum. Doch das Niveaugefälle ist beträchtlich. Gleich zu Anfang verhob sich Regisseur Jan-Christoph Gockel mit einer überambitionierten Produktion ausgerechnet zum Regionalklassiker „Schinderhannes”. Mehr als drei Stunden lässt er in bemüht launigem Volkstheaterspiel ausbreiten, was man über den in Mainz hingerichteten Hunsrücker Oberräuber sowie über das Stück des Rheinhessen Carl Zuckmayer, über Realitäten und Fiktionen beider, über deren Rezeption und Verwurstung durch die Nachgeborenen erzählen, zeigen, deuten, analysieren kann. Das war zu viel gewollt.

Andere Inszenierungen blieben hingegen unterambitioniert. So gerieten etwa Lessings „Miss Sara Sampson” zu einer statuarischen Aufführung wie aus dem Regie-Schulbuch oder Kesselrings „Arsen und Spitzenhäubchen” zur blassen Stilmixture aus Salongroteske, Grusical und Kasperei. Doch hatte die Schauspielsparte auch ihre Glanzpunkte, vorneweg die deutschsprachige Erstaufführung von Quiara Alegria Hudes' „Water by the spoonful”. Mit diesem Stück über sechs Menschen, die per Internetchat eine Selbsthilfegruppe betreiben, um der Crack-Sucht zu entkommen, wurde zugleich eine neue Experimental-Spielstätte, U17, tief im Untergrund des Kleinen Mainzer Hauses eröffnet.  Wie sonst keine in der ersten Saisonhälfte machte die ungemein dichte Inszenierung des leitenden Schauspielregiseurs K.D. Schmid deutlich, welch enorme Potenziale im neuen Sprechtheaterensemble schlummern.

Dass die neue Ballettcompagnie des Theaters tanztechnisch allerhand drauf hat, war bei den beiden ersten Spartenproduktionen der Saison unverkennbar. Die Choreografie „Plafona Now” von Sharon Eyal und Gai Behar ist ein einhellig umjubeltes Faszinosum, bei dem die Tänzer zu einem einzigen Tanzkörper verschmelzen. Zwiespältig aufgenommen wurde hingegen „My private Odyssey” von Weizman/Haver: Kopf- und philosophielastig verliert sich die Arbeit in tänzerisch zwar versierten, aber inhaltlich und emotional indifferenten, zerfasterten Tanzaktionen. 

Wohin sich das Tanzfach in Mainz entwickelt, und ob der Verzicht auf einen eigenen Chefchoreografen ihm eher nützt oder schadet, ist noch völlig unklar. Wie überhaupt zur Halbzeit der ersten Saison noch nicht erkennbar ist, ob das Haus insgesamt künftig eher ordentliches Mainzer Stadtheater sein wird oder die Rolle des führenden rheinland-pfälzischen Theaters mit überregionaler Ausstrahlung spielen kann. Der schier rauschhafte Erfolg mit der Deutschen Erstaufführung von Pascal Dusapins Oper „Perelà” Anfang 2015 lässt hoffen.

Andreas Pecht

Infos: >>www.staatstheater-mainz.com


-----------------------------------------------------------------------------------------
Wer oder was ist www.pecht.info?
-----------------------------------------------------------------------------------------


Diesen Artikel weiterempfehlen was ist Ihnen dieser Artikel
und www.pecht.info wert?
 

eMail an Autor • eMail to author • contact auteureMail an den Autor
eMail an webmaster • eMail to webmaster • contact webmastereMail an webmaster Seitenanfang • go top • aller en-hautan den Anfang Seite drucken • site print • imprimer siteArtikel drucken