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2014-12-22a Ballettkritik:

tanzmainz fasziniert mit "Plafona Now" von Sharon Eyal und Gai Behar

Verschmolzen zu einem
einzigen Wesen 


 
ape. Mainz. Erstaunlich, kunst- und geheimnisvoll, technisch hochkarätig, sinnlich, dynamisch, hinreißend und zurecht enthusiastisch beklatscht: Das Ballett „Plafona Now” ist am Staatstheater Mainz die bisher wohl überzeugendste Produktion in der ersten Spielzeit unter neuer Intendanz. Es handelt sich bei der 60-minütigen Choreografie um die Weiterentwicklung einer Arbeit, die von den israelischen Gastchoreografen Sharon Eyal und Gai Behar 2012 für die Tanzcompagnie Oldenburg geschaffen wurde.
 


Auf der leeren, nur mit Licht und Nebel atmosphärisch gestalteten Bühne des Kleinen Mainzer Hauses ist dem eigentlichen Stück ein Prolog aus fünf Soli vorgeschaltet. Das kann man als  Bekenntnis zur hohen Wertschätzung fürs tänzerische Individuum deuten – vorsichtshalber angeführt, weil nachher im Hauptteil Individualismus zugunsten eines Tanzkollektivs ungewöhnlich radikal aufgelöst wird. In fließenden Übergängen spielen die (im Programmhaft nicht eigens ausgewiesenen) Solisten zu munterer Calypso-Musik mit Ausdrucksmöglichkeiten diverser Tanzstile von der Klassik über Ethnoformen bis zum Breakdance.

Der Tanz bekommt mal nur ein Punktlicht, mal vages Flächenlicht von oben, dann wieder nur gefärbtes Seitenlicht. Nie jedoch hat Lichtdesigner Avi Yona Bueno den Bühnenraum in Gänze hell ausgeleuchtet. Dennoch gelingt ihm das Kunststück, dass beim Solistenprolog wie beim Compagnietanz im nebligen Halbdunkel selbst die feinsten Nuancen deutlich erkennbar bleiben. An diesem dankbar raffinierten Effekt haben die Kostüme von Maayan Goldman ihren Anteil: Die Solisten stecken in hautengen weißen Ganzkörperdresses, das 13-köpfige Kollektiv nachher in transparenten Nylondresses mit silbrig-weißen Höschen und – bei den Damen – Brustteilen. 

„Plafona Now” spielt in einer abstrakten Sphäre außerhalb der Welt. Zeit und Ort können überall und nirgends sein. Bis auf einen kurzen Moment bleibt hier selbst die im Tanz naturgemäß dominante Geschlechterbeziehung außen vor: Das Ensemble ist in Staffage und Tanzausdruck auf  Androgynität fixiert – eine elfenähnliche Gemeinschaft, für die weder Männlichkeit noch Weiblichkeit bedeutsam ist, deren Geschlechterunterschied sich vor allem auf hüftlange Silberhaarperücken bei den Männern (!) reduziert.

Zentraler Kontrast ist die Beziehung zwischen Kollektiv und Einzelnen, die immer wieder aus der Gemeinschaft ausbrechen, sich als Individuum (ver)suchen – und doch dem Sog des Aufgehens in Uniformität nie vollends entfliehen können. Wer will, mag sich daraus eine Geschichte oder eine gesellschaftskritische Metapher zusammenreimen. Besser beraten ist man vielleicht, sich den melodiös gerundeten Technorhythmen von Ori Lichtik hinzugeben und dies Ballett zu genießen wie ein sinfonisches Kunstwerk.

Denn das eigentliche Faszinosum von „Plafona Now” ist die furiose Sychronisierung des Ensembles und die sich daraus ergebende Ästhetik. Figuren, Schritte, Sprünge, Haltungen, Gesten bis hin zu Spannung und Entspannung einzelner Glieder oder Muskelstränge werden in perfekter Gleichzeitigkeit ausgeführt oder fließen als harmonische Welle durchs Kollektiv.

Ob schierer Stillstand, sich aufschaukelndes Impulsspiel oder treibender, schneller, atemloser Tempofluss: Was die Mainzer Compagnie hier unter Anleitung der einstigen Meistertänzerin der Batsheva Dance Company und ihres Partners (Eyal und Beha) zeigt, ist etwas anderes als gekonntes Formationsballett. Zu erleben ist die wie in Trance vollzogene Verschmelzung des Ensembles zu einem einzigen Tanzkörper. Wunderschön, aber auch ein bisschen gespenstisch.         

Andreas Pecht

Infos: >>www.staatstheater-mainz.com


(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website
am 23. Dezember 2014)


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