Kritiken Theater
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2014-11-24a Schauspielkritik:

Lessings „Miss Sara Sampson” in Mainz interessant interpretiert, schulmäßig gespielt
 

Nicht Heilige, nicht Hure:
nur zwei Frauen


 
ape. Mainz. Ganz ausgespielt würde Lessings „Miss Sara Sampson” von 1755 gute drei Stunden dauern. Ricarda Beilharz hatte dieses erste bürgerliche Trauerspiel der deutschen Theatergeschichte vor zwei Jahren in Wiesbaden auf 100 Minuten eingekocht. Regisseur Markolf Naujoks schafft es nun am Staatstheater Mainz in rekordverdächtigen 75 Minuten. Dass trotz aller Reduktion die Kerngeschichte verständlich erzählt und zugleich von antiquierten Rührseligkeiten befreit wird, ist auf der Haben-Seite dieses Abends zu verbuchen.



Start vor geschlossenem Eisernen Vorhang mit einem stückfremden Prolog. Daniel Friedl lädt als kommentierender Conferenciers und Wirt das Publikum ein in die „Hölle der Liebenden”. Und tatsächlich qualmt es nachher in Marina Stefans Bühne aus einem Schlund, durch dessen unsichtbare Tiefen U-Bahnen donnern. Was bei Lessing in zwei Wirtshäusern, spielt hier an und vor der Oberkante dieses Abgrunds: Zwei junge Frauen ringen – mal in gewagten Balanceakten auf dem Geländer, mal durch eine bemooste Buckellandschaft davor stolpernd – um die Liebe des Herrn Mellefont.

Die Unstetigkeit des Kerls ist seit Lessings Zeit zwar begreiflicher, aber nicht sympathischer geworden: Er träumt von Überwindung seines Hallodri-Daseins mithilfe einer liebenden Ehefrau, macht sich indes schier in die Hosen beim Gedanken lebenslanger Bindung an eine Kleinbürgerexistenz im Reihenhäuschen. Weshalb er wortreich die Verheiratung mit Miss Sara verspricht, aber von der vormaligen Geliebten Marwood nicht wirklich loskommt. Ein Mann zwischen Lust und Pflicht, zwischen Bindung und Freiheit – so alt die Konstellation sein mag, so verdrießlich rumort sie noch heute durch den Alltag. Weshalb die nahe an die Gegenwart gelegte  Inszenierung Textpassagen des Originals mehrfach in launigen, aber sinnvollen Gegenwartssprech überträgt. Ansonsten wird zwar verkürzt, doch in schöner Klarheit vor allem Lessing gesprochen. Noch ein Punkt auf der Haben-Seite.

Ein dritter Bonus lässt sich für die Umdeutung der beiden Frauencharaktere vergeben. Naujoks mag nicht der üblicherweise ausgebreiteten Konfrontation von Heiliger und Hure folgen. Katharina Alf gibt statt des tragisch-selbstlosen Engels eine bodenständig-selbstbewusste Sara. Leonie Schulz macht aus der bösen Lebedame Marwood eine fast schlichte, traurige, letztmals sich aufbäumende, mit Kind sitzengelassene Frau. Dass eine solche Marwood in Mainz Sara nicht ermordet, sondern diese sich in den U-Bahn-Schlund stürzt, ist deshalb folgerichtig.

Auf der Malus-Seite des Abends steht die beinahe statuarische Spielweise des fünfköpfigen Ensembles. Als habe Naujoks nur seinen Inszenierungsbogen und gutes Sprechen im Auge gehabt, beschränkt sich das Spiel weithin auf hängende Arme oder schulmäßige Posen. Das macht Saras Vater Sir William (Martin Herrmann) und Mellefont (Henner Momann) zu manierierten Langweilern, vergibt bei den beiden Frauen unendliche Möglichkeiten intensiver Körpersprache. In die Bühne eine Musikbox zu platzieren, auf der die Protagonisten mal Stimmungspop, mal die Stimme von Marwoods Kind abrufen, ist eine hübsche Idee. Man hätte aber auch daran denken sollen, dass Stehen und Gehen auf der schiefen Buckelfläche geübt sein will, ansonsten es wider Willen ziemlich doof ausschauen kann.

Andreas Pecht

Infos: >>www.staatstheater-mainz.com/


(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website
am 25. November 2014)


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