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2014-10-28a Schauspielkritik:

Uraufführung "Lilli/Heiner Intra Muros" am Staatstheater Mainz

 
Frau wird Mann dank Zwangsdoping
im DDR-Spitzensport


 
ape. Mainz. Die französische Autorin Lucie Depauw wollte kein dokumentarisches Stück schreiben. Regisseurin Brit Bartkowiak wollte „Lilli/Heiner Intra Muros” auch nicht als solches inszenieren. Und doch ist die Uraufführung jetzt am Staatstheater Mainz über weite Strecken genau das geworden: Dokumentationstheater über Praxis und Folgen des Zwangsdopings durch den DDR-Sportapparat.
 

Ein über 85 Minuten von vier Schauspielern aufgerollter Fall liegt so: Schon als Kind ein sportives Talent, gerät die jugendliche Lilli im Internat unter die Fuchtel von Spitzensporttrainern der DDR. Die pumpen sie mit leistungssteigernden Hormonen voll, auf dass sie in den Stadien der Welt die Überlegenheit des Sozialismus demonstriere. Lillis Körper vermännlicht bei dieser Prozedur zusehends. Am Ende lässt sie sich operativ vollends in Heiner verwandeln.

Stück und Inszenierung sind sichtlich bemüht, den Fall über die politische Kritik an einem menschenverachtenden System hinaus zur Erörterung der Transsexuellen-Thematik zu machen. Lilli fühlt sich schon als Mädchen im falschen Körper. Während das Zwangsdoping eine Freundin allmählich umbringt, wirkt es bei ihr quasi als Katalysator für die schmerzhafte Hinwendung zum richtigen Geschlecht.

Haben ihr die Sportfunktionäre am Ende noch einen guten Dienst erwiesen? Die Möglichkeit zu solch – gewiss nicht gewolltem – Fehlschluss ist keineswegs die einzige Stolperfalle dieses Stückes. Das Ringen Lillis mit einer bestimmenden, ebenso von Behütungswahn wie vom klammheimlichen Wunsch nach einem Sohn besessenen Mutter (Anna Steffens) bietet andere.

Rückblicke auf Innen- und Außenwelt der geschlechtlich gedoppelten Titelfigur zur DDR-Zeit stehen in einem Rahmen aus gerichtlichen Ermittlungen im wiedervereinigten Deutschland gegen die Machenschaften einstiger DDR-Sportfunktionäre. Per Videoprojektion auf die Rückwand der mit Turnhallen-Utensilien ausstaffierten Bühne (Nikolaus Frinke) zitiert ein Staatsanwalt immer wieder aus Ermittliungsakten. Schon diese Konstruktion drängt den Abend unvermeidlich weg vom lebendigen Charakterspiel. Der nur spärlich dialogisierende, dafür ausgreifend berichtende und an Zeugenaussagen erinnernde Text tut ein übriges, um die Uraufführung in der Dokumentationsecke landen zu lassen.

Daraus erwächst dann auch das Gefühl, dass dieses Stück im 25. Nachwendejahr etwas spät dran ist. Gleichwohl berührt und erzürnt, was DDR-Staat und Mutter aus jeweiligem Eigeninteresse dem  Mädchen antun. Dazu trägt nicht zuletzt das trotz dokumentarischer Kühle in einigen Momenten intensive Spiel von Antonia Labs (Lilli) und dem ihr wie ein männlicher Schattenzwilling folgende Denis Larich (Heiner) bei. Rüdiger Hauffe macht als Staatsanwalt sowie brutaler Einpeitschtrainer passende Figur, setzt obendrein als Schlager singender Transvestit ein paar Schmunzeltupfer.

Dennoch bleibt in summa der Eindruck: Als anklagende Doku über das verbrecherische Spitzensportsystem der DDR funktioniert der Abend ganz gut, doch zum Bühnendrama über einen Menschen im falschen Körper wird er kaum.


Andreas Pecht

Infos: >>www.staatstheater-mainz.com


(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website
am 28./29. Oktober 2014)


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/Uraufführung, "Lilli/Heiner" am Staatstheater Mainz/

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